Rheinische Post: Erdogans Drohung

Unmittelbar nach seiner Wiederwahl im Juni hat
der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ein eigenes
Ministerium für den EU-Beitritt gegründet. Doch gestern machte er
überraschend einen spektakulären Schritt zurück: Er will die
Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft einfrieren, wenn Zypern im
kommenden Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Auch sei ein
Truppenrückzug von der Insel kein Thema mehr. Erdogans Empörung ist
aus türkischer Sicht nachzuvollziehen: Die Teilung Zyperns scheint
auch nach fast vier Jahrzehnten unüberwindbar – es ist allein der
griechische Bevölkerungsteil, der die Wiedervereinigung blockiert.
Und nur der griechische Teil der Insel gehört zur EU, die türkischen
Bewohner sehen sich ins politische und wirtschaftliche Abseits
gedrängt. Doch Erdogan zeigt seine Muskeln vor dem falschen Publikum:
Mit seiner rüden Drohung entgegen allen diplomatischen
Gepflogenheiten isoliert er sein Land. Sollte es gar eine Art
Nötigungsversuch sein, wäre er untauglich und eher schädlich. Denn
Erdogan riskiert den Stopp der Beitrittsverhandlungen. Der zähe Weg
Ankaras nach Europa, ohnehin durch gegenseitiges Misstrauen ständig
stark behindert, ist nun auf jeden Fall noch länger geworden.

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303