Schwäbische Zeitung: Leitartikel – Die Sache mit dem Restrisiko

Man kann natürlich die Allerweltsweisheit
bemühen, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nie geben wird.
Das ist einerseits richtig, andererseits birgt der Satz eine gewisse
Missbrauchsgefahr. Gemeint ist nämlich: Selbst wenn der Staat alle
rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, um die Bürger vor Kriminellen
zu schützen, wird dieser Schutz nie perfekt sein. Nicht gemeint ist,
dass der Staat seine Möglichkeiten ja gar nicht auszuschöpfen
braucht, weil sowieso ein Restrisiko bleibt.

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Das Problem der Sicherungsverwahrung
muss im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts so gelöst
werden, dass Schwerstkriminelle, bei denen man mit weiteren
Verbrechen rechnen muss, nicht auf freien Fuß kommen. Das klingt sehr
nach Selbstverständlichkeit, scheint aber der Bundesjustizministerin
eine fragwürdige Angelegenheit zu sein. Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger lehnt eine nachträglich angeordnete
Sicherungsverwahrung rundweg ab, selbst wenn die so geregelt wäre,
dass die Verfassungsrichter keine Bedenken hätten. Die Justizminister
der Länder – von SPD, CDU und CSU – sehen die Angelegenheit zum Glück
pragmatischer.

Man könnte der FDP-Politikerin in Berlin die Frage stellen, ob
dies der richtige Anlass ist, das rechtsliberale Fähnlein zu hissen.
Man könnte sie fragen, wie sie das mit dem Restrisiko genau meint.
Man kann aber auch ganz einfach fragen: Was soll das? Es ist nämlich
so: Falls es keine Möglichkeit geben sollte, einen Menschen
festzuhalten, dessen permanente Gefährlichkeit sich erst während
seiner Haft herausstellt, werden Strafrichter vor einem Dilemma
stehen. Sie müssen dann im Zweifel nicht für, sondern gegen den
Angeklagten entscheiden und die Sicherungsverwahrung schon im Urteil
anordnen. Das wäre jedoch eine problematische Problemverlagerung.

Ideologie ist hier fehl am Platz. Es geht um eine rechtsstaatlich
abgesicherte Lösung für – zugegebenermaßen – wenige Einzelfälle.
Alles andere wäre nicht vermittelbar.

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