Schwäbische Zeitung: Luxemburger Versöhner

Ein Europäer von gestern kann die EU nicht fit
für die Welt von morgen machen: So lautet die Hauptkritik am neuen
Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Das ist – mit Verlaub –
Blödsinn. Denn nirgendwo ist Erfahrung wichtiger für Erfolg als auf
dem europäischen Parkett. Juncker war 18 Jahre Premier Luxemburgs und
hat als Eurogruppenchef während der Schuldenkrise eine Schlüsselrolle
innegehabt.

Kaum einer beherrscht wie er die Kunst des Kompromisses – ohne den
in Brüssel nichts vorangeht. Als erster Kommissionschef überhaupt
stellte er sich als Spitzenkandidat dem Votum der Wähler – erhielt
nach dem Sieg die Rückendeckung von Europaparlament sowie Staats- und
Regierungschefs. Das gibt ihm mehr demokratische Legitimation als
seine Vorgänger je hatten, um eine ehrgeizige Reformagenda
durchzusetzen.

Diese formale Stärke muss er nun politisch nutzen. Er hat dafür
gar keine schlechten Voraussetzungen: Juncker muss keine falschen
Rücksichten nehmen, weil er nach einer Amtszeit im Rentenalter ist –
und nicht auf seine Wiederwahl schielen muss. Er ist zudem ein
geübter Brückenbauer. Als Regierungschef eines kleinen EU-Landes
vermittelte er „als ehrlicher Makler“ oft im Streit der Großen, was
ihm viel Vertrauen einbrachte. Politisch könnte man ihn als
Christdemokraten mit viel sozialem Herzblut beschreiben. Er versprach
gestern ein 300 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm für
Wachstum und Jobs. Er will die Euro-Stabilitätsregeln flexibler
handhaben, aber nicht ändern.

Wenn einer das nebulöse Konzept der wachstumsfreundlichen
Konsolidierung mit Leben erfüllen kann, dann der christsoziale
Juncker. Europa braucht dringend einen Versöhner, der die durch die
Schuldenkrise entstandenen Risse zwischen Sparverfechtern im Norden
und Solidaritätsrufern im Süden kitten kann. Wenn Juncker klug
agiert, hat er das Potenzial dazu. Selbst den Briten, die ihn
vehement ablehnen, steht er programmatisch in einigen Kernpunkten gar
nicht so fern.

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