Schwäbische Zeitung: Mehr Geld für ambulante Pflege – Leitartikel

Auf Alte neidisch zu sein, das klingt absurd.
Aber ist es das tatsächlich? Wer das Gezänk im Pflegebereich
verfolgt, dem kann angst und bange werden vor der Zukunft. Der
Personalmangel in der Pflege wird zunehmen, ebenso die
Unterfinanzierung des Systems. Dazu kommt ein demografischer Wandel,
der den Sozialstaat in die Knie zwingen könnte. Als Greis die letzten
Tage in einem Pflegeheim zu verbringen, wo das Personal chronisch
gestresst ist und schlecht bezahlt wird – wer will das erleben?
Niemand. Da denkt man doch tatsächlich nahezu neidisch an die
Familienangehörigen, die ihren letzten Weg zu Hause gehen konnten.

Aber so ist das in einer Gesellschaft, die vom Anfang bis zum Ende
des Lebens durchökonomisiert ist. Betreuung und Pflege in der Familie
rechnen sich für den Einzelnen nicht, wenn auf der anderen Seite eine
gut bezahlte Arbeit steht. Nicht zu vergessen, der wirtschaftliche
und politische Druck auf die Frauen, zum Familieneinkommen und zur
Volkswirtschaft beizutragen. Wer kann oder möchte es sich leisten,
seinen Job an den Nagel zu hängen, um seine entfernt wohnenden Eltern
zu pflegen? Niemand. In solchen Fällen bleibt nur der Weg ins Heim.
Ein teurer Weg – und noch dazu falsch investiertes Geld.

Der Pflegebereich wird eines Tages unbezahlbar sein, wenn nicht
mehr als bislang auf die ambulante Versorgung alter Menschen gesetzt
wird. Senioren-Wohngemeinschaften, Stadtteilprojekte, ehrenamtliches
Engagement: In solchen Modellen liegt die Zukunft menschenwürdigen
Alterns. Und dazu gehört auch, dass ambulante Pflegedienste
finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihre Mitarbeiter
anständig bezahlen und die Patienten fürsorglich behandeln können.
Wenn die kirchlichen Sozialträger nun androhen, sich aus dem
ländlichen Raum zurückzuziehen, ist dies ein deutliches Signal, dass
die Politik versagt hat und in die falsche Richtung geht. Sie rühmt
sich unnützer Reförmchen wie des Pflege-Bahrs, statt endlich dafür zu
sorgen, dass mehr Menschen möglichst lang zu Hause betreut werden
können.

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