Schwäbische Zeitung: Wenn Ohnmacht dominiert – Leitartikel

An dieser Stelle war bis Montagnachmittag ein
Leitartikel geplant, der die Mühen der Menschheit mit dem Klimawandel
beleuchten sollte. Ein globales Problem, ein drängendes Problem für
Milliarden von Menschen. Und dann kam diese Schreckensnachricht aus
dem Schwarzwald. Und all die möglichen Folgen des Klimawandels in
naher oder fernerer Zukunft sind von der ganz konkreten Katastrophe
in den Hintergrund gedrängt worden. Warum? Weil Nähe – menschliche
oder geografische – mehr berührt als das, was in der Ferne geschieht
oder geschehen könnte. Weil es eine zutiefst menschliche Eigenschaft
ist, emotional zu reagieren, wenn das Unvorstellbare dort Realität
geworden ist, wo der eigene Lebensbezug in irgendeiner Weise
angebunden ist.

Die 14 Personen, die am Montag in Titisee-Neustadt hilflos
verbrannt sind, waren behinderte Menschen, schutzbedürftiger als
andere, angewiesen auf gesellschaftliche Solidarität, die sie bei der
Caritas auch gefunden hatten. Vielleicht hätten sich in einem
Normalbetrieb mehr Menschen in Sicherheit bringen können. Man mag
sich nicht vorstellen, was es für die Betreuer bedeutet hat, zusehen
zu müssen, dass sie ihre Schützlinge nicht alle retten konnten. Diese
Menschen sind nicht in Bangladesch gestorben, wo Tags zuvor 100
Textilarbeiter verbrannten. Bangladesch und Deutschland: Wie kann es
sein, dass hier wie dort sich ähnliche Katastrophen ereignen? Im
armen Entwicklungsland und im reichen Hightech-Land? War da
menschliches Versagen im Spiel? Religiösen Menschen stellt sich zudem
das Problem der Theodizee, also die Frage: Wie kann Gott das
zulassen?

Irgendwann wird akribisch untersucht und geklärt sein, wie es zu
der Brandkatastrophe im Schwarzwald kommen konnte. Das schafft
Erkenntnis, und aus Erkenntnis soll nicht nur juristische
Aufarbeitung resultieren, sondern auch Zukunftsvorsorge. Im Drang zu
wissen, was geschehen ist, warum es geschehen ist, wie es verhindert
werden kann, birgt sich ein Urstreben nach Sicherheit. Aber bisweilen
dominiert ein einziges Gefühl: Ohnmacht.

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