Katastrophe im Innern
Seit gestern leben wir in einem anderen Land. Mit ihrem Urteil,
der Bundeswehr den Einsatz im Inneren zu erlauben, haben die Richter
das Bundesverfassungsgerichts durch die Hintertür das Grundgesetz
geändert. Selbst wenn man nicht so weit geht wie die Linke, die von
einer Militarisierung der Innenpolitik spricht, handelt es sich um
einen fundamentalen Wandel des Staatsverständnisses, der der
Einführung der Notstandsgesetze im Jahr 1968 gleichkommt. Man darf
davon ausgehen, dass die Richter aufrichtig erwarten, die Politik
werde die Lage allzeit im Griff behalten und die Truppe nur in den
genannten Ausnahmefällen „von katastrophischem Ausmaß“ einsetzen.
Dabei ist es gerade diese riskant unscharf formulierte Ermächtigung,
die die Verantwortlichen vor quälende Abwägungsfragen stellt und im
Missbrauchsfall den Freifahrschein für den Kampfeinsatz gegen die
Bevölkerung darstellt – selbst wenn sich so etwas heute niemand
vorstellen kann oder mag. Allein aus historischen Gründen muss die
Bundesrepublik alles tun, um sicherzustellen, dass die Armee niemals
als Machtinstrument der Innenpolitik eingesetzt werden kann – komme
da, was wolle. Als einsamer Mahner hat Verfassungsrichter Reinhard
Gaier das in seinem Sondervotum formuliert: Im Schatten eines
Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich
gedeihen. Doch zumindest einen Spalt weit ist das Kasernentor nun
offen.
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Südwest Presse
Lothar Tolks
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