Trierischer Volksfreund: Wahlerfolg der Piraten – Leitartikel Trierischer Volksfreund, 27.03.2012

„Schwarmintelligenz“ – das Wort verspricht erst
einmal Positives, aus vielen guten Entscheidungen einzelner wird die
Klugheit aller. Das ist das politische Prinzip der Piraten. Und wer
nach der Berlin-Wahl geglaubt hatte, die Partei sei lediglich ein
Sammelbecken für großstädtische oder gestörte Internet-Freaks, für
Leute, die „irgendwas mit Medien“ zu tun haben, also eine Partei mit
begrenzter Halbwertszeit, wird nach der Saarland-Wahl wohl
eingestehen müssen: Die Piraten haben den Status eines Phänomens
jetzt hinter sich gelassen.

Ihre Stärke liegt in der Schwäche der etablierten Parteien. Sie
bieten augenscheinlich das, was den anderen in den letzten
Jahrzehnten der deutschen Parteiendemokratie abhanden gekommen ist:
Die Piraten sind noch ungeschliffen, sie zwingen niemanden dazu, sich
festzulegen. Sie greifen damit einen weit verbreiteten,
gesellschaftlichen Trend auf. Punktuell mitzumachen, jedoch möglichst
frei von Zwängen zu sein, Positionen zu variieren, oder aber erst gar
keine zu haben, ist en vogue.

Peinlich ist es deshalb, wenn FDP-Mann Döring das Politikbild der
Piraten als „Tyrannei der Massen“ geißelt. Und naiv ist es, wie
Union, SPD, Grüne, Linke und FDP nun darüber sinnieren, warum die
Piraten so viel Zulauf haben. Alle schleifen deshalb ihre Konzepte
zur Netzpolitik, twittern wie wild oder setzen online neue Akzente.
Transparenz heißt neuerdings, Parteitagsanträge ins Netz zu stellen.
Als ob das reichen würde. Der Muff der letzten Jahre lässt sich
jedoch nicht per Mausklick in den Papierkorb befördern. Für viele
Menschen sind Ochsentour und Ämtergeschacher fernab des modernen
Polit-Zeitgeists. Sie haben den Eindruck, den Parteien geht es nur
noch um sich selbst. Das stimmt nicht immer. Wenn aber die
Etablierten sich und den Bürgern nicht mehr Freiheit verordnen, um
die Lust am Mitmachen zu wecken, müssen sie sich nicht wundern, wenn
die Piraten ein Bundesland nach dem anderen entern.

Doch es gibt noch Hoffnung für die Alt-Parteien. Die Piraten
geraten nach jedem Wahlsieg in einen klassischen
Selbstfindungsprozess, der leicht in Selbstzerfleischung abdriftet.
So hat in Berlin bereits nach wenigen Monaten eine Entzauberung durch
Flügelkämpfe und Querelen begonnen. Sind die Piraten im System
angekommen, verlieren sie ihre Unbedarftheit. Dann stößt die
„Schwarmintelligenz“ deutlich an ihre Grenzen. Dann werden auch die
Fragen nach Konzepten zu Themen jenseits der Netzpolitik umso
brennender gestellt. Und dann müssen auch Entscheidungen getroffen
werden, mit denen der Schwarm einen Teil seiner Wähler enttäuschen
wird. Doch das wird wohl noch dauern.

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Thomas Zeller
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