WAZ: Der Rechtsstaat kann nicht anders. Kommentar von Dietmar Seher

Ob 10 000 oder 3000 Euro „Entschädigung“ – allein
das Wort ist ein Schlag ins Gesicht der Eltern von Jakob von Metzler.
Der Mörder Gäfgen, der den Elfjährigen erstickte, wird für seine
Behandlung bei der Vernehmung entschädigt. Nicht nur Mütter und Väter
fühlen: Hier ist der Rechtsstaat schwer zu ertragen.

Die Erkenntnis ist bitter: Der Rechtsstaat hat eine scheinbar
unverständliche Seite. Er muss seinen Prinzipien auch dann treu
bleiben, wenn Recht wie schlimmes Unrecht wirkt. Das Grundgesetz
verbietet Folter. Es verbietet auch die Androhung der Folter. Und sie
ist selbst dann nicht erlaubt, wenn so ein anderes Leben gerettet
werden könnte. Der Richter ist diesem bewährten und von anderen
Ländern so oft beneideten Grundgesetz verpflichtet. Nichts anderem.
Er musste dem Mörder das Geld zusprechen. Er nannte es nicht
„Schmerzensgeld“. Immerhin.

Doch ein Richterspruch ist das eine. Nach dem eigenen Gewissen zu
handeln, über die Gesetze hinaus, ist ein zweites. Versetzen wir uns
in diesen verzweifelten Polizisten, der mit Folter drohte. Vielleicht
ist er selbst Vater. Er wollte dieses junge Leben schützen. Würden
wir, mit seinen Ängsten und seiner Notlage, mit Gewalt drohen?
Vielleicht würden wir es sogar ohne jedes schlechte Gefühl tun – und
müssten, Recht bleibt Recht, für diese Straftat zur Verantwortung
gezogen werden.

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