WAZ: Die Rechtslage angepasst – Kommentar von Winfried Dolderer

Allmählich müsste es der Regierung doch dämmern:
Geht es um Europa, und hier insbesondere um die Mitsprache des
Bundestages, ist mit Karlsruhe nicht zu spaßen. Schließlich urteilt
das Verfassungsgericht in dieser Sache nicht zum ersten Mal. Dass in
„Angelegenheiten der Europäischen Union“ das deutsche Parlament zur
Mitwirkung berechtigt ist, steht da schon seit zwei Jahrzehnten.
Lange genug, um sich daran zu gewöhnen? Wohl wahr, indes: An eine
Eurokrise hätte damals niemand auch nur denken können. Der Euro
selber war ja noch kaum mehr als ein Projekt. Die Europäische Union,
das war die Gemeinschaft der Mitgliedstaaten. Heute ist es
komplizierter. Darin liegt die Bedeutung des gestrigen Urteils. Es
passt die deutsche Rechtslage dem Strukturwandel an, den die
Europäische Union in den Turbulenzen der Krise erfahren hat. Es gibt
eben nicht mehr nur eine EU. Es gibt die Gruppe der Euro-Staaten. Und
es gibt die anderen. Eine Zweiteilung, die sich in der Krise
verfestigt. Seit zwei Jahren agieren die Euro-Länder wie eine
Parallel-EU neben den Brüsseler Institutionen und dem für alle
geltenden Vertragswerk. Sie betreiben Krisenbewältigung als
klassische Außenpolitik. Die Folge ist, dass die Macht der nationalen
Regierungen zunimmt, die der Parlamente aber schwindet. Das
Mitspracherecht des Bundestages droht gerade dann ausgehöhlt zu
werden, wenn weitere Macht nach Europa abfließen soll: Das
Verfassungsgericht hat dem gestern einen Riegel vorgeschoben.

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