WAZ: Ein Urteil, das man kaum erträgt. Kommentar von Frank Preuß

Es gibt Gerichtsurteile, die lassen sich nur schwer
aushalten. Und sie lassen die Menschen an der Rechtsprechung
zweifeln, wenn nicht sogar verzweifeln. In Nürnberg, gestern, das war
so eines. Zwei Jahre und acht Monate Haft für einen Mann, der drei
Kinder mit seiner Tochter gezeugt hat, der sie nach ihrer Darstellung
über Jahrzehnte missbraucht hat – wie kann es sein, dass er für diese
Ungeheuerlichkeiten so billig davonkommt, will man wissen. In einem
Prozess, in dem Aussage gegen Aussage steht, in dem es keine Zeugen
gibt, bleibt dem Richter nichts anderes übrig, als die
Glaubwürdigkeit der Aussagenden zu beurteilen. Für die Opfer ein
Spießrutenlauf, denn sie müssen fürchten, dass man ihnen nicht glaubt
und sie so gleich doppelt gestraft werden. Und ist es nicht
nachvollziehbar, dass sich ein Mensch, der Schreckliches erlebt hat,
bei seinen Aussagen einmal widerspricht? Nur: Welche Alternative gäbe
es, den Richter aus diesem Dilemma zu befreien? So bleibt der Inzest
als unbestrittenes Minimum übrig, moralisch fürchterlich, aber
juristisch mit maximal drei Jahren Haft zu bestrafen, wenn dem Vater
nicht nachzuweisen ist, dass er die Tochter gezwungen hat. Ein
dürftiges Höchststrafmaß für eine seelische Grausamkeit dieser
Größenordnung. Dass der Richter sogar noch darunter geblieben ist,
kann man nun wirklich nicht nachvollziehen.

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