WAZ: Steinbrück, Merkel und die Umfragen – Leitartikel von Ulrich Reitz

Eine Umfrage ist eine Umfrage, aber eine Wahl ist
eine Wahl. Umfragen bilden nur eine Stimmung ab, Wahlen schaffen
Fakten. Umfragen sind eine weiche, Wahlen eine harte Währung. Weshalb
ist das gerade jetzt wichtig? Nach der Niedersachsen-Wahl am nächsten
Sonntag kann sehr Vieles ganz anders aussehen. Sollte es SPD und
Grünen nicht gelingen, die Koalition aus CDU und FDP abzulösen,
gewinnt die Diskussion über den sozialdemokratischen
Kanzlerkandidaten erst richtig an Fahrt. Dann wird es nicht mehr nur
um einzelne seiner Äußerungen gehen, sondern um die ganz große Frage:
Ist er überhaupt der richtige Mann für die Bundestagswahl? Falls
Rot-Grün doch ein Wechsel in Niedersachsen gelingt, wirkt das wie ein
wahrscheinliches Szenario für die Deutschland-Wahl. Die SPD bekommt
Rückenwind und gewinnt an Selbstvertrauen. Die Diskussion um
Steinbrück verstummt erst einmal. Angela Merkel bekommt auch
weiterhin höchste Sympathiewerte, aber das nutzt ihrer Partei nur
mittelbar. In Deutschland wird ein Kanzler nicht direkt gewählt.
Stattdessen wird über die sogenannte strukturelle Mehrheitsfähigkeit
der Union diskutiert: Was, wenn CDU und CSU die FDP abhanden kommt?
Für jene, die gerne auf Monate im Voraus hochrechnen: Nichts ist
unmöglich. Nach der neuesten, seriösen Umfrage sind knapp 60 Prozent
der Bevölkerung fertig mit Schwarz-Gelb. Sie wollen diese Koalition
weghaben, und das, obwohl sensationelle 65 Prozent der Menschen die
Kanzlerin gut finden. Das ist nicht einmal ein Widerspruch: Die Frage
nach Merkel meint die Sympathie, die nach der Partei zielt auf die
tatsächliche Wahlentscheidung. Andererseits zeigt diese Umfrage auch:
Rot-Grün alleine schafft es nicht, bei einer Großen Koalition wäre
die Union vorne, Schwarz-Grün wäre möglich und Rot-Rot-Grün hat die
SPD ausgeschlossen. Fazit: In keiner der möglichen Koalitionen könnte
die SPD den Kanzler stellen. Für Umfragen wie für die Wahl in
Niedersachsen gilt: Hier wird nichts entschieden für die
Bundestagswahl. Nur das Schicksal des FDP-Vorsitzenden Philipp
Rösler.

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