Diese Debatte hat sich die schwarz-gelbe
Bundesregierung selbst eingebrockt. Man hätte sich wirklich
ernsthafte Sorgen um den Zustand der Oppositionsfraktionen machen
müssen, hätten diese die monatelange Verzögerung des Armutsberichts
nicht genüsslich für Attacken gegen die Koalition genutzt. Seit mehr
als einem halben Jahr streiten Vizekanzler und Wirtschaftsminister
Philipp Rösler (FDP) und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU)
über zwei Formulierungen, sodass die Veröffentlichung ein ums andere
Mal verschoben werden muss. Dabei sind die umstrittenen Sätze die
reinsten Binsenweisheiten: „Die Privatvermögen in Deutschland sind
sehr ungleich verteilt.“ Hätte der Wirtschaftsminister diese
Formulierung durchgewunken, wäre sie allenfalls den Linken mit ihrem
stetigen Ruf nach Umverteilung aufgefallen. Denn laut
Sachverständigenrat der Bundesregierung verfügen die reichsten zehn
Prozent der Deutschen tatsächlich über zwei Drittel des
Gesamtvermögens im Land. Und dass in den vergangenen Jahren die
Einkommenszuwächse am Arbeitsmarkt kaum den Beziehern von
Niedriglöhnen zugute gekommen sind, bestätigen selbst die
Bundesagentur für Arbeit und das Statistische Bundesamt – beides
Institutionen, die bislang nicht durch linkes Gedankengut aufgefallen
sind. Die Öffentlichkeit darf gespannt sein, auf welchen
Formulierungskompromiss sich die Regierungspartner einigen, um nach
drei gescheiterten Anläufen am 6.
vorzulegen. Doch egal, wie kunstvoll er gedrechselt sein wird: Es
bleibt ein fauler Kompromiss, den die Opposition den Regierenden um
die Ohren hauen wird. Dabei hätte das klare Benennen der sozialen
Schwachpunkte im Land eine Chance für Schwarz-Gelb bedeutet. Nur wer
Probleme erkennt und sie als Aufgaben annimmt, kann glaubhaft deren
Lösung versprechen. Diese Möglichkeit aber hat die Bundesregierung
ausgeschlagen – unverständlich angesichts der Wahl in sieben Monaten.
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