Westdeutsche Zeitung: Europa hat nur vermeintlich eine Wahl
Ein Kommentar von Martin Vogler

Gerne wird in diesen Tagen Griechenland mit
einem Privathaushalt verglichen. Dadurch wird das Dilemma richtig
greifbar. Wenn dieser in eine solche Klemme gerät, läuft die
Maschinerie los: Negative Schufa-Auskunft, Pfändung, wahrscheinlich
Rausschmiss aus der Wohnung und womöglich Obdachlosigkeit. Die Lage
Griechenlands ist im Prinzip durchaus vergleichbar. Der Ruf des
Landes in der Finanzwelt ist ruiniert. Die einst selbstbewussten
Griechen, die sich zu Recht unter anderem in Sachen Demokratie und
Philosophie als Keimzelle des Abendlandes begreifen, erhalten nur
Mitleid und Spott. In Sachen Kreditwürdigkeit hinter Pakistan und
Jamaika eingestuft zu werden, ist wahrlich bitter.

Doch der Vergleich mit einem Privathaushalt hinkt trotzdem in
wichtigen Punkten. Selbst wenn schon wilde Spekulationen über den
Verkauf von Inseln ins Kraut schossen, werden die Griechen natürlich
nicht ihre Wohnung verlieren. Vor allem haben sie, im Gegensatz zur
zahlungsunfähigen Privatperson, bessere Chancen auf frisches Geld,
ohne die Insolvenz zu beantragen. Zu wichtig ist ihr Land als
Handelspartner, vor allem auch aus deutscher Sicht. Da ist
Hilfeleistung sinnvoll. Nur hat diese kalkulierte Tat nichts mit
Wohltätigkeit zu tun.

Zumindest rangen gestern die Finanzminister verbissen um eine
Lösung. Doch wie lange diese, egal wie sie im Detail auch aussehen
wird, tragen wird, ist ungewiss. Selbst wenn sich irgendwann wieder
Kreditgeber finden, müssen die Monate dazwischen überbrückt werden.
Und vor allem verlangt jeder Geldgeber Sicherheiten, an denen es den
Hellenen chronisch mangelt. Sogar wenn sie Staatseigentum
privatisieren, können sie laut optimistischen Rechnungen mit maximal
50 Milliarden Euro rechnen. Sie brauchen aber in den nächsten drei
Jahren 120 Milliarden Euro. Leider kann Griechenland dafür nicht auf
steigende Staatseinnahmen hoffen, weil angesichts der miesen Stimmung
und ebensolcher Rahmenbedingungen die Konjunktur nicht anspringen
wird.

Europa hat nur vermeintlich die Wahl: Es kann Griechenland ewig am
Tropf halten oder es gleich pleite gehen lassen. Beides kostet viel
Geld. Noch teurer wäre es, weiterhin mit Rettungskonzepten zu
lavieren – und die Pleite damit nur hinauszuzögern.

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