Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Ende der Wehrpflicht:

Für die Wehrpflicht ist gestern der Ernstfall
eingetreten: Sie wird nach mehr als 50 Jahren ausgemustert. Zuletzt
war sie nur noch ein Symbol. Von Wehrgerechtigkeit kann schon lange
nicht mehr gesprochen werden, wenn nur jeder siebte junge Mann zur
Bunderwehr eingezogen wird. Außerdem stellte die ständige Verkürzung
der Wehrdienstzeit auf zuletzt sechs Monate die angemessene
Ausbildung der jungen Soldaten in Frage. Vor allem aber erfordert die
veränderte Sicherheitslage in Europa den radikalen Umbau der
Bundeswehr. Deutschland ist von befreundeten Staaten umgeben; niemand
mehr denkt daran, dass im Ernstfall deutsche Leopard-Panzer russische
Truppen aus der norddeutschen Tiefebene zurückdrängen müssten. Die
Bundeswehr von heute hilft bei Überschwemmungen, sichert die Seewege
am Horn von Afrika, befriedet den Balkan und versucht, die Menschen
in Afghanistan darauf vorzubereiten, in nicht allzuferner Zeit ihr
Leben selbst zu gestalten. Für diese Ziele sind eine andere Technik
als bisher und eine geringere Anzahl von Soldaten erforderlich. Das
hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erkannt.
Innerhalb eines Jahres hat er Vorschläge präsentiert, sie in der
Öffentlichkeit diskutiert und gestern mit dem Kabinettsbeschluss
umgesetzt. Guttenberg hat es geschafft, das Thema Wehrpflicht, das
besonders in der Union jahrzehntelang als unverhandelbar galt, nahezu
lautlos anzupacken. Wenn es um Steuern, Gesundheit und
Zuzugsregelungen geht, pflegen sich die Regierungsfraktionen zu
fetzen, um sich dann doch zu vertagen. Dass es auch anders geht, hat
die Nachwuchshoffnung der Union vorgemacht: Guttenberg hat sein
Gesellenstück abgeliefert. Um von einer bestandenen Meisterprüfung
des beliebtesten deutschen Politikers zu reden, ist es noch zu früh.
Der Verteidigungsminister muss mehr als acht Milliarden Euro in
seinem Ressort einsparen. Sein Versuch, für künftig weniger Soldaten
mehr Geld zu fordern, ist vom Finanzministerium umgehend
zurückgewiesen worden. Wenn es im nächsten Jahr um mögliche
Standortschließungen geht, wird Guttenberg viel Überzeugungskraft bei
Landesfürsten, Landräten und Bürgermeistern aufwenden müssen, die den
Abschied der Bundeswehr aus ihrer Region fürchten. Ganz lautlos wird
der notwendige Abschied des Verteidigungsministeriums aus Bonn nicht
über die Bühne gehen. Mit Widerstand muss Guttenberg auch beim Umbau
der Strukturen innerhalb der Bundeswehr rechnen: Arbeitsplätze von
Beamten und Generälen werden wegfallen. All das sind harte Schnitte,
an die sich frühere Minister nicht herangewagt haben. Der Freiherr
aus Franken hat einen großen Vorteil: Er verfügt über mehr Rückhalt
in der Politik und in der Bevölkerung als all seine Vorgänger
zusammen. Mit diesem Pfund kann er wuchern.

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