Erdbeben, Tsunami, Atomalarm: Japan sieht sich
Gewalten ausgesetzt, die das Normalmaß sprengen. Erheblich stärker
als das Jahrhundertbeben vor gut einem Jahr in Haiti, aber dank hoch
entwickelter Vorkehrungen bei weitem nicht so opferreich, erfährt
sich der Mensch als Spielball der Elemente. Selbst top organisierte
und mit Erdstößen vertraute Gesellschaften erfahren in Momenten wie
am Freitag Existenzielles. Der Mensch ist ein in die Welt geworfenes,
den Fährnissen ausgeliefertes Wesen. Das klingt nach Jean-Paul
Sartre, darf aber auch religiös verstanden werden. Mehr noch: Der
zeitweise auf eine Kernschmelze zuschlitternde Atommeiler
Fukushima-Daiichi-1 zeigt: Der Mensch sollte sich nicht zu sehr an
den Elementen versuchen. Vermeintlich sichere Technik ist nur
begrenzt, aber nicht zu 100 Prozent vor dem Schlimmsten gefeit. Die
weltgeschichtlich betrachtet gar nicht so überraschend außer Rand und
Band geratende Natur erweist sich im Kräftemessen mit der
Zivilisation letztlich als die stärkere Macht. Wir regulieren Fluten,
fangen Energien ein und versetzen Berge, aber wir haben deshalb noch
lange nicht die Schöpfung im Griff. Im Gegenteil, in der Katastrophe
wird augenscheinlich, wie klein und anfällig das von Menschenhand
Geschaffene in Wahrheit ist. Die Fernsehbilder von zerstörerischen
Wassermassen, die sich über Japans Küsten ergießen, werden sich ins
kollektive Gedächtnis einbrennen. Dennoch: Wir sehen uns heute einer
gigantischen Wasserwand gegenüber und schon morgen werden wir dem
Versuch zur Beherrschung der natürlichen Grundlagen des Lebens
fortfahren. Dies zu bedauern, bedeutet nicht einer Rückkehr zu Mutter
Naturs vermeintlich heiler, auf jeden Fall menschenleeren Welt das
Wort zu reden. Tatsächlich gibt es zum Bemühen um die technische
Bändigung der Umwelt keine Alternative. Schon wenige Stunden nach der
Katastrophe galt es mit Respekt auf das anlaufende professionelle
Krisenmanagement der Japaner zu blicken. Angesichts der vorherigen
Katastrophen in Australien mit Wirbelsturm und Überschwemmungen sowie
dem Beben auf Neuseeland könnten Pessimisten versucht sein, für das
Jahr 2011 den Untergang der Welt als zwangsläufig vorauszusagen. Der
alttestamentarische Satz von der gerechten Strafe für die Frevler
kommt an dieser Stelle den Naturgläubigen und Esoterikern wie
selbstverständlich von den Lippen. Nichts da. Die Natur denkt und
fühlt nicht, sie kann sich daher auch nicht rächen. Mehr noch. Das
hochtechnisierte Japan wird diese Katastrophe besser wegstecken, als
Haiti, das immer noch darbt. Dennoch gibt es Grund zu beten. Japan
muss ein zweites Tschernobyl erspart bleiben, was mit Unterstützung
der Welt gelingen möge. Auch, wenn das Schlimmste erspart bleiben
sollte, ist klar: Das war verdammt knapp.
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