Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Atompolitik der Kanzlerin

Kernenergie ja oder nein? Atomausstieg früher
oder später? Moratorium richtig oder falsch? Während wir weiter um
die Menschen in Japan bangen und beten, hat der politische Streit um
das emotionsgeladene Thema Kernenergie in Deutschland gerade erst
begonnen. Und mittendrin die Kanzlerin. Angela Merkel wird ein
Zick-Zack-Kurs in der Atompolitik vorgeworfen. Nicht nur ihre
Kritiker sehen die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin in Gefahr. Welch
eine schwere Situation für Angela Merkel. Da nimmt sie kurz nach dem
Beben in Japan das Heft des Handelns in die Hand, vollzieht in
Blitzgeschwindigkeit eine 180-Grad-Wende in ihrer Atompolitik und
steht nun selbst in der Kritik. Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt und
eine Woche später in Baden-Württemberg drohen ihrer Partei Verluste.
Angela Merkel hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Hätte sie
kurz nach der Katastrophe nicht gehandelt – man hätte ihr
Führungsschwäche vorgeworfen. Nun hat sie gehandelt – aber die
Mehrheit nimmt ihr den Sinneswandel nicht ab – zu Recht. Nach einer
repräsentativen ARD-Umfrage halten 70 Prozent das Aussetzen der
Laufzeitverlängerung für ein Wahlkampfmanöver. Das hat Gründe: Wenn
das Erdbeben der Anlass war, um festzustellen, dass unsere
Kernkraftwerke plötzlich nicht mehr sicher sind, ist das eine fatale
Aussage der Regierung. Und warum müssen unsere Kernkraftwerke
eigentlich überprüft werden, galten sie doch als so sicher? Wussten
die Experten nicht schon vorher, dass Flugzeuge eine Gefahr für die
Meiler darstellen? Und warum hat die Regierung die sieben Kraftwerke
nicht schon viel früher abgestellt, wenn das heute angeblich kein
Problem ist? Viele Fragen – keine Antworten. Deshalb trauen die
Deutschen dem Braten nicht. Fakt ist: Angela Merkel konnte kurz nach
dem Erdbeben nicht so tun, als wäre nichts gewesen – sie kann aber
auch nicht so tun, als wäre in Deutschland nun alles anders. Nun
könnte es sein, dass Angela Merkel einen mit der Laufzeitverlängerung
(für viel zu wenig Geld der Betreiber) begangenen Fehler korrigieren
wollte. Dagegen spricht, dass die Physikerin immer zu den größten
Befürwortern der Kernenergie zählte – zumindest, bis erneuerbare
Energien sie bezahlbar und stabil ersetzen können. Nicht
auszuschließen ist, dass Merkel selbst von der Wucht der
schrecklichen Bilder so beeinflusst war, dass sie sich gezwungen sah,
derart schnell und gravierend zu handeln. Drei Fragen sind in den
nächsten Wochen entscheidend: 1. Was ist uns der sofortige
Atomausstieg wert? 2. Zu welchen Ergebnissen führt das Moratorium? 3.
Gelingt Merkel der gesellschaftliche Energie-Konsens? Eine andere
Frage ist, welche Folgen Merkels neuer Atomkurs auf die Wahlen hat.
Die Antwort darauf gibt es schneller: Nächsten Sonntag wissen wir
mehr.

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