Westfalenpost: Kommentar zu Atom/Fukuschima/Japans Katastrophe war Zäsur für Deutschland/Energiewende braucht politische Führung/Von Harald Ries

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Von Japan aus gesehen wirken die deutschen Reaktionen auf die
Katastrophe von vor einem Jahr befremdlich: Die 19 000 Menschen, die
der Tsunami in den Tod gerissen hat, werden kaum beachtet, während
die Akw-Havarie, deren Strahlenbelastung nach Vermutungen der UN
nicht zu einer messbaren Zunahme der Krebsfälle führen wird, eine
dramatische Umkehr in der Politik auslöst. Das kann man in einem von
Tsunamis gar nicht und von Erdbeben nur sehr mäßig bedrohten Land
schon seltsam finden. Ohne Fukushima hätten wir jetzt nicht den
ersten grünen Ministerpräsidenten. Die Katastrophe in Japan hat dort
zu einem „Weiter so“ geführt und hier zu einer Zäsur. Doch was
merkwürdig entsteht, muss nicht falsch sein: Die Energiewende ist
politisch geboten, von der Bevölkerung mehrheitlich gewünscht und
ökonomisch langfristig vernünftig. Gelingen kann das riskante Manöver
aber nur, wenn auf die ehrgeizigen Ankündigungen eine aktive und
umsichtige Gestaltung folgt. Und an der mangelt es noch sehr. Das
betrifft nicht nur die Rö-Rö-Rangeleien zwischen Umweltminister
Röttgen und Wirtschaftsminister Rösler. Da sollen Offshore-Windparks
entstehen, ohne dass die nötigen Überlandleitungen geplant sind, da
fließen Steuermilliarden, die anderweitig dringend gebraucht würden,
in die ineffiziente Photovoltaik. Wir benötigen aber nicht nur ein
besseres technisches Management, sondern eine gesellschaftliche
Initiative, die alle Bürger begeistert und mitnimmt für ein ungemein
ehrgeiziges Projekt, das Deutschland zum Ökostrom-Pionier machen und
zukunftsträchtige Industrien schaffen könnte. Dazu müssen aber die
Privathaushalte wissen, was auf sie zukommt, und die
mittelständischen Unternehmen, von denen dieses Land lebt, brauchen
verlässliche Rahmenbedingungen. Dringend erforderlich ist also
politische Führung. Das geht an die Adresse der Kanzlerin, die zwar
die Energiewende handstreichartig befohlen hat, aber seitdem bei dem
Thema abgetaucht ist. Wir können das schaffen. Wir müssen. Denn wenn
es uns nicht gelingt, wird es kein anderes Land wagen. Und wenn doch,
dürfen wir statt Kopfschütteln über Hysteriker einmal wieder Respekt
für deutsche Tüftler erwarten.

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Westfalenpost Hagen
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