Das Ausmaß der Trauer und der Wut nach dem Tod
des jugendlichen Gezi-Opfers Berkin Elvan hat die türkische Regierung
wohl überrascht. In den vergangenen Monaten hatte die
Protestbewegung, die im vergangenen Jahr das Land mit ihren
Demonstrationen erschütterte, an Schwung verloren. Doch die Teilnahme
von mehreren zehntausend Menschen am Trauerzug für den 15-Jährigen,
der an den Folgen eines Polizeieinsatzes während der Gezi-Unruhen
starb, sowie die Betroffenheit vieler verschiedener
gesellschaftlicher Gruppen nach dem Tod des Jungen zeigt, dass der
Widerstand gegen Erdogan wächst. Das Lager der Erdogan-Gegner reicht
mittlerweile von kommunistischen Gruppen bis zu Wirtschaftsverbänden
– der Ministerpräsident hat mit seiner absolutistisch anmutenden
Regierungsweise und seiner Arroganz im Umgang mit der
Korruptionsaffäre so viele Türken vor den Kopf gestoßen, dass diese
ungewöhnliche Allianz möglich geworden ist. Noch wankt Erdogans
eigentliche Machtbasis nicht. Dies verleitet den Regierungschef dazu,
sich immer weiter von der Lebenswirklichkeit vieler seiner Landsleute
zu entfernen. Zum Tod von Berkin Elvan kam ihm kein einziges Wort
über die Lippen. Ein Politiker, der derart spaltet wie Erdogan, ist
als künftiger Landesvater aller Türken kaum vorstellbar. Doch
vielleicht will Erdogan auch überhaupt nicht der Präsident aller
Türken werden, sondern nur der Präsident „seiner“ Anhänger.
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Klaus Gaßner
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