Westdeutsche Zeitung: Geschacher in Deutschland um die EU-Posten – Die Lust auf Europa sinkt wieder Ein Kommentar von Hagen Strauß

Gibt es eigentlich einen Posten innerhalb der
EU, für den Martin Schulz in den vergangenen Wochen nicht gehandelt
worden ist? Ketzerisch könnte man sagen: Vermutlich für den des
Hausmeisters in Brüssel. Er werde alles daran setzen,
Kommissionspräsident zu werden, hat der SPD-Mann am Abend der
Europawahl getönt. Obwohl das Ergebnis seiner Partei trotz Zugewinn
für so viel Selbstbewusstsein keinen Anlass bot. Später hieß es,
okay, dann wolle er aber auf jeden Fall Vizepräsident der
EU-Kommission werden. Als auch das ins Wanken geriet, kündigte Schulz
an, das Amt eines „wichtigen“ EU-Kommissars reiche aus. Nun jedoch
soll der Genosse nach dem Willen von SPD-Chef Sigmar Gabriel wieder
das werden, was er zuletzt war: Präsident des Europaparlaments. Also
ein Mann ohne größeren Einfluss.

Ein verrückteres Hickhack um den künftigen EU-Job für eine Person
hat man selten erlebt. Der Eindruck drängt sich auf, dass die
Sozialdemokraten den Mund mal wieder zu voll genommen haben. Das kann
man ihnen zunächst einmal auch nicht verdenken, denn nach der derben
Niederlage bei der Bundestagswahl verursachte das Plus bei der
Europawahl unverhoffte Glücksgefühle. Aber leider eben auch einen
gewissen Realitätsverlust.

Inzwischen ist das Postengeschacher um Schulz zur Farce geworden.
Das gilt übrigens genauso für das Verhalten des konservativen Lagers
bei der Personalie Jean-Claude Juncker. Hier hat sich auch Angela
Merkel bislang nicht mit Ruhm bekleckert. Den Parteien geht es eben
längst nicht mehr darum, wer gut oder wer der Beste für Europa wäre
und was die Wähler mit ihrer Entscheidung eigentlich bewirken
wollten. Sie glänzen derzeit durch abgehobene Machtspielchen.

Dadurch wirkt die EU ausgerechnet in einer Phase des europäischen
Umbruchs wegen des Ukraine-Konflikts und der noch nicht
ausgestandenen Wirtschaftskrise politisch gelähmt. Fatal. Beim
Theater um die Jobs für Schulz und Co. blickt ohnehin kaum noch ein
Bürger durch. Was zur Folge haben dürfte, dass die Lust auf Europa,
die sich durch den Wahlkampf zweier Spitzenkandidaten etwas erhöht
hatte, wieder deutlich sinken wird.

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