Rheinische Post: Kommentar / Die große Stunde der Politik = Von Michael Bröcker

Einen guten Seemann erkennt man nur bei
schlechtem Wetter, heißt eine maritime Losung. Das dürfte gerade
jetzt für die Politik gelten. Die Versorgung und Integration von
Millionen Flüchtlingen ist eine Herausforderung, in der sich die
Politik behaupten, ja beweisen kann. Es ist die Stunde der Exekutive.

Europas politische Eliten haben auf die Völkerwanderung bisher mit
Chaos, nationalstaatlichen Egoismen und Abschottung reagiert. Die
Bundeskanzlerin zögerte, die Länderchefs klagten über fehlende
Mittel. Kreative Lösungen zur Unterbringung und unbürokratische Hilfe
für die Notleidenden kam vor allem aus der Bürgergesellschaft. Nun
ist aber die Politik gefragt. Einen Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts hat die EU laut Maastrichter Statut ihren Bürgern
versprochen. Ist das so? Eine faire Lastenverteilung zwischen den
Mitgliedstaaten wäre der erste Schritt. Eine feste Aufnahme-Quote und
ein Konzept gegen die Schlepper-Mafia der zweite.

In Deutschland könnten die Politiker zeigen, dass sie ebenen- und
parteiübergreifend in der Lage sind, einen Masterplan für eine
nachhaltige Flüchtlingspolitik zu beschließen. Dazu gehören schnelle
und abschließende Asylverfahren. Am besten dort, wo die Flüchtlinge
ankommen, in den Erstunterkünften. Zu einer gezielten Integration
gehören Sprach- und Qualifizierungsangebote. Eine Allianz mit der
Wohnungs- und Bauwirtschaft könnte schneller Unterkünfte ermöglichen.
Wenn die Solidaritätswelle nicht abebben soll, müssen die Turnhallen
der Republik bald wieder für den Schulsport zur Verfügung stehen.

Die Politik muss aber auch einen praktikablen Prozess anbieten,
wie Flüchtlinge als Fachkraft gehalten werden könnten, selbst wenn
ihr Asylstatus ein Bleiben nicht zulassen würde. Das Handwerk und der
Mittelstand suchen händeringend Personal und werden auf dem
heimischen Arbeitsmarkt nicht fündig.

Zu einer nachhaltigen Flüchtlingspolitik gehört aber auch eine
konsequente Abschiebung derjenigen, die keine Chance auf ein
Bleiberecht haben. Die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die noch
über Monate und Jahre hier leben, ist zu hoch. Das erzeugt Misstrauen
in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und befeuert
Ressentiments. Es ist eine gewaltige Aufgabe. Jeder muss wissen: Die
Flüchtlingszahlen werden noch steigen, bevor sie sinken. Der
Grenzzaun in Ungarn dürfte noch mehr Fluchtwillige in Bewegung
setzen. NRW-Regierungschefin Kraft hat gestern von ehrenamtlich
Tätigen berichtet, die an die Grenzen ihrer „physischen Kräfte“
gehen. Die Politik muss dies auch tun.

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