Kinderarmut deutlich höher als gedacht: 4,4 Millionen Kinder sind nach Berechnungen des DKSB betroffen – Dunkelziffer liegt bei 1,4 Millionen

Es ist ein Armutszeugnis für ein reiches Land: Etwa
4,4 Millionen Kinder in Deutschland sind von Armut betroffen – rund
1,4 Millionen mehr, als in der Öffentlichkeit bisher bekannt. Das
haben Berechnungen des Kinderschutzbundes (DKSB) aufgrund
vorliegender Zahlen ergeben. Der DKSB fordert die Bundesregierung
auf, mit konkreten Maßnahmen und Reformen gegen Kinderarmut
vorzugehen.

Für drei Millionen Kinder zahlt der Staat Sozialleistungen, damit
ihr Existenzminimum gesichert ist. Zählt man aber auch diejenigen
Familien hinzu, die Anspruch auf Hartz IV, Kinderzuschlag oder
Wohngeld haben, dies aber nicht nutzen, ist die Zahl der in Armut
lebenden Kinder noch deutlich höher. Denn viele Familien beantragen
Leistungen erst gar nicht, die ihnen aufgrund ihres geringen oder
fehlenden Einkommens eigentlich zustehen.

Genaueres geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage von Bündnis 90/Grüne vom 18.6.2018 hervor. Ergänzende
Leistungen bei Erwerbstätigkeit, sogenannte „aufstockende“ Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV), nehmen geschätzt nur ca. 50
Prozent der tatsächlich Berechtigten in Anspruch. Das betrifft rund
850.000 Kinder unter 18 Jahren, die bislang nicht als arm galten.
Dazu kommen nach Berechnungen des Kinderschutzbundes noch mal 190.000
Kinder, deren Eltern nicht erwerbstätig sind und trotzdem nicht mit
anderen Leistungen aufstocken.

„Oft liegt es daran, dass die Eltern mit den bürokratischen
Abläufen überfordert sind oder sich schlichtweg dafür schämen“, sagt
DKSB-Präsident Heinz Hilgers. „Diese Zahlen könnte die
Bundesregierung auch klar nennen, aber das will sie offenbar nicht.“

Bei einzelnen Leistungen ist die Nicht-Beantragung sogar noch
deutlich höher und liegt bei bis zu 70 Prozent, wie das
Bundesfamilienministerium in seinem Familienreport 2017 für den
Kinderzuschlag einräumt. Diesen nehmen nur 30-40 Prozent der
Berechtigten in Anspruch. Davon betroffen sind mindestens weitere
350.000 Kinder unter 18 Jahren. Dazu kommen theoretisch auch noch
nicht abgerufenes Wohngeld beziehungsweise nicht in Anspruch
genommene SGB-XII-Leistungen, gesicherte Aussagen darüber liegen aber
nicht vor.

„Zählen wir alles zusammen, kommen wir konservativ gerechnet auf
eine Dunkelziffer von 1,4 Millionen Kindern. Alle diese Kinder sind
offiziell nicht arm, doch sie fallen durch das Raster unseres
Sozialstaates, weil der Dschungel der Leistungen für viele Eltern
undurchdringlich ist“, sagt Heinz Hilgers. „Wir fordern die
Bundesregierung auf, energisch dagegen vorzugehen, wenn sie sich
nicht dem Verdacht aussetzen will, die nicht in Anspruch genommenen
Leistungen schon im nächsten Haushaltsplan fest einzukalkulieren –
auf der Habenseite.“

Werden zustehende Leistungen nicht abgerufen, ist das für die
betroffenen Kinder doppelt ungünstig, denn dann fallen auch die
Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket weg.

Der Kinderschutzbund fordert deshalb:

Kurzfristig muss bei der jetzt anstehenden und im
Koalitionsvertrag verankerten Reform des Kinderzuschlags im
Mittelpunkt stehen, dass jedes Kind, das Anspruch auf diese Leistung
hat, diese auch erhält.

Eine Reform des Kinderzuschlags muss mit der Reform des Bildungs-
und Teilhabepakets flankiert werden. Nur mit einer Anhebung kann z.B.
der Schulbedarf von Kindern sichergestellt werden. Die dafür
notwendigen Mittel müssen verbindlich im Bundeshaushalt eingestellt
werden.

Perspektivisch fordert der DKSB jedoch gemeinsam mit 13 Verbänden
und wissenschaftlichen Unterstützer*innen die Einführung einer
einfachen und unbürokratischen Kindergrundsicherung, die eine
Vielzahl von Leistungen zusammenfasst und sich an neu berechneten
tatsächlichen Bedarfen von Kindern orientiert. Weitere Informationen
dazu gibt es auf: www.kinderarmut-hat-folgen.de.

Pressekontakt:
Franziska Fischer
Pressesprecherin
Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V.
Tel: 030- 214 809-20
E-Mail: fischer@dksb.de

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