Die Konsequenzen aus Fukushima:Keine neuen Sicherheitsrabatte

Pressemitteilung

Endgültige Stilllegung der sieben Alt-Reaktoren ist rechtlich
überfällig – Sicherheitsüberprüfung der anderen Atomkraftwerke muss
auf Basis des neuen Kerntechnischen Regelwerks und im Licht von
Fukushima erfolgen – Deutsche Umwelthilfe fordert transparenten
Prozess und Ausschluss früherer Mitarbeiter von Atomfirmen aus der
Sicherheitsüberprüfung – Bundesregierung darf Laufzeitentscheidung
nicht auf Sachverständige abschieben – Gesamtgesellschaft muss sich
verständigen, welche Risiken sie wie lange akzeptieren will

Die inzwischen sieben abgeschalteten Atomkraftwerke der Jahrgänge
1980 und vorher hätten auch ohne das japanische Drama schon 2006
infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum
Luftsicherheitsgesetz endgültig stillgelegt werden müssen. Eine
zusätzliche Sicherheitsbewertung, wie jetzt von der Bundesregierung
angeordnet, war und ist vor diesem Hintergrund für Brunsbüttel,
Philippsburg 1, Isar I, Biblis A und B, Unterweser und Neckarwestheim
I überflüssig. Für alle anderen Reaktoren bedarf es angesichts der
Erfahrung von Fukushima einer grundlegenden Neubewertung der mit
ihrem Weiterbetrieb verbundenen Risiken. Diese Konsequenzen ergeben
sich nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) aus dem
Zusammenbruch sämtlicher Sicherheitssysteme der Reaktoranlage von
Fukushima nach einem Erdbeben mit anschließendem Tsunami.

Nach Überzeugung von DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake muss
die Neubewertung der Risiken der jüngeren Meiler ohne Wenn und Aber
auf der Grundlage des 2009 aktualisierten, aber noch immer nicht in
Kraft gesetzten Kerntechnischen Regelwerks („Sicherheitskriterien für
Kernkraftwerke“) erfolgen und wird im Ergebnis zu
Nachrüsterfordernissen führen, die so aufwändig sein können, dass sie
die Rentabilität der Reaktoren in Frage stellen. Baake: „Wenn
Sicherheit tatsächlich vor Wirtschaftlichkeit gehen soll, wie
Bundesregierung und Atomwirtschaft immer wieder betonen, darf darauf
konsequenterweise keine Rücksicht mehr genommen werden.“

Das Atomgesetz (AtG) verpflichte die Betreiber von Atomkraftwerken
schon seit Jahrzehnten zu einer dynamischen Anpassung der
Sicherheitsvorkehrungen an den Stand von Wissenschaft und Technik,
also auch an aktuelle Erfahrungen und neu erkannte Risiken,
erläuterte Baake. Defizite gebe es vor allem in der
Gesetzesanwendung. Baake forderte Bundesumweltminister Norbert
Röttgen auf, das neue Kerntechnische Regelwerk unverzüglich in Kraft
zu setzen und damit die Länder-Atomminister daran zu hindern,
weiterhin 30 oder mehr Jahre alte Sicherheitsstandards anzuwenden.

Die stillgelegten sieben Atomkraftwerke von vor 1980 besitzen
keine oder nur eine besonders unzureichende Auslegung gegen
Flugzeugabstürze. Ein terroristischer Angriff mit Flugzeugen auf
Gebäude ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA
nicht mehr dem so genannten Restrisiko zuzuordnen, denn er hat
tatsächlich stattgefunden. Das in der Folge von den AKW-Betreibern
entwickelte „Vernebelungskonzept“ konnte jeweils nur wenige Minuten
wirken und war darauf ausgelegt, die Zeit bis zum Eintreffen von
Militärmaschinen zu überbrücken. In seiner Entscheidung von 2006
erklärte jedoch das Bundesverfassungsgericht den Abschuss von
Flugzeugen mit Unbeteiligten an Bord für verfassungswidrig. Baake:
„Damit war die Vernebelungsidee erledigt. Kein Sicherheitskonzept für
Atomkraftwerke darf sich auf eine verfassungswidrige Ermächtigung,
zum Abschuss von Passagiermaschinen stützen.“

Der DUH-Bundesgeschäftsführer bezeichnete es als „in hohem Maße
scheinheilig und irreführend“, wenn Atommanager und Politiker aus
Union und FDP nun betonten, dass in Deutschland Erdbeben wie in Japan
und Tsunamis nicht zu erwarten seien. „Japanische Atomkraftwerke
waren gegen die in Japan erwarteten Erdbeben ausgelegt, die deutschen
sind es gegen die in Deutschland erwarteten. In Japan war das
offensichtlich unzureichend.“ Baake forderte, dass bei zukünftigen
Sicherheitsanalysen vom jeweils schlimmsten denkbaren Fall
ausgegangen werden müsse. Risiken dürften nicht länger mit Hilfe von
Eintrittswahrscheinlichkeiten „kleingerechnet“ werden.

Die Leiterin Energiewende und Klimaschutz der DUH, Rechtsanwältin
Cornelia Ziehm erinnerte daran, dass die schwarz-gelbe Koalition eben
erst und erstmals mit einem neuen Paragrafen 7d im Atomgesetz die so
genannte „bestmögliche Schadenvorsorge“ aufgeweicht und im Falle
seiner Anwendung das Klagerecht von betroffenen Bürger abgeschafft
habe. Vor diesem Hintergrund sei es bemerkenswert, dass
Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich ihrer Regierungserklärung im
Bundestag das Gegenteil behauptet und die faktische Absenkung der
Sicherheitsbestimmungen für deutsche Atomkraftwerke als „zusätzliche
Sicherheitsstufe“ dargestellt habe. Die fragliche Regelung war
maßgeblich auf Betreiben der Atomindustrie in die AtG-Novelle
aufgenommen worden.

„So etwas darf sich jetzt nicht wiederholen. Wir brauchen bei den
nun anstehenden Entscheidungen ein Ende der Hinterzimmerpolitik und
einen transparenten, wirklich unabhängigen Überprüfungsprozess jedes
einzelnen Reaktors. Es wäre eine Verhöhnung der Bevölkerung, wenn
dieser Prozess nun erneut von früheren Atommanagern und Lobbyisten
koordiniert oder geleitet würde“, sagte Ziehm. Die Beteiligung
früherer Atommanager sei nicht nur rechtlich in höchstem Maße
fragwürdig, sie würde auch jedes denkbare Ergebnis von vornherein
diskreditieren und die Akzeptanzkrise in der Energiepolitik weiter
verschärfen.

Der frühere Leiter der Reaktorsicherheitsabteilung des
Bundesumweltministeriums, Wolfgang Renneberg, äußerte Zweifel an der
Ernsthaftigkeit des von der Bundesregierung angekündigten
unvoreingenommenen Sicherheitschecks aller deutschen Atomkraftwerke
im Lichte der Ereignisse in Japan. „In drei Monaten kann niemand eine
Überprüfung von 17 oder auch nur sieben Reaktoren seriös durchführen.
Bestenfalls kann man in dieser Frist Bekanntes zu einem Bericht
zusammenschreiben und das weitere Überprüfungsverfahren definieren.“
Der Bewertungsmaßstab müsse für alle Reaktoren einheitlich sein, sich
auf das neue, 2009 nach jahrelanger Bearbeitung beschlossene
„Kerntechnische Regelwerk“ (KTR) stützen und auch neue Erkenntnisse
aus dem japanischen Drama berücksichtigen.

Baake warnte die Bundesregierung davor, die Entscheidung und
Verantwortung über die Zukunft der Atomenergie auf
Sachverständigengremien abzuschieben. Welche Sicherheitskriterien
angewandt werden und welches Risiko von der Gesellschaft noch
geduldet werden soll, dürfe nicht über die Festlegung von
Bewertungskriterien durch ein geschlossenes Beratergremium
vorentschieden werden. Für die Festlegung des Überprüfungsmaßstabs
sei allein der Bundesumweltminister auf Grund seiner
verfassungsrechtlichen Verpflichtung verantwortlich, für eine
Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu
sorgen. Baake: „Es ist am Ende eine politische Entscheidung des
Gesetzgebers, wie und wie schnell wir aus der Atomkraft aussteigen.
Diese Entscheidung muss auf einer gesellschaftlichen Verständigung
darüber basieren, welche Risiken und Belastungen wir in Zukunft noch
tragen wollen und welche nicht. Nach Fukushima stellt sich die Frage
nach der gesellschaftlichen Akzeptanz kerntechnischer Risiken neu „.

Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0; Mobil: 0151 55016943;
E-Mail: baake@duh.de

RAin Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Energiewende und Klimaschutz,
Deutsche Umwelthilfe, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030
2400867-0; Mobil: 0160 94182496; E-Mail: ziehm@duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0; Mobil: 0171
5660577; E-Mail: rosenkranz@duh.de

Wolfgang Renneberg, Büro für Atomsicherheit; Mobil: 0151 40306928
www.atomsicherheit.de