Wenn Guido Westerwelle vom Amt des
FDP-Parteivorsitzenden zurücktritt, wird ihn niemand bedauern müssen.
Dazu ist der Anteil des 49-Jährigen am Absturz der Liberalen zu groß.
Wer aber glaubt, dass die Probleme der Partei mit einem Wechsel auf
dem Chefsessel gelöst wären, irrt. Vielleicht ist es das größte
Dilemma der Liberalen überhaupt, dass der Name Westerwelle wie ein
Synonym für die FDP steht – lange in guten und nun in ganz schlechten
Zeiten. Seit die FDP bei der Bundestagswahl 2009 sagenhafte 14,6
Prozent erreichte und ihren beeindruckenden Siegeszug krönte,
irrlichtert Westerwelle durch die deutsche Politik. Grund dafür ist
ein einziges Missverständnis: Der FDP-Chef ist nie im Amt des
Außenministers angekommen. Nur für einen kurzen Moment hatte man das
Gefühl, er könnte den Hebel umlegen. Das war vor fünf Wochen, als
Westerwelle auf dem Tahrir-Platz in Kairo gefeiert wurde, als hätte
er das ägyptische Volk höchstpersönlich von Präsident Husni Mubarak
befreit. Beinahe alles davor und alles danach war ein Torso. Daran
ist Westerwelle zwar nicht allein schuld. Doch als Außenminister,
Vizekanzler und FDP-Chef in Personalunion trägt er die
Hauptverantwortung. Die Liste der Patzer, Pannen und Peinlichkeiten
ist lang: angefangen von der Steuerermäßigung für Hoteliers sowie dem
ruinösen Streit mit dem Koalitionspartner CSU und vorläufig endend
mit dem Schlingerkurs in der Libyenfrage und einer, gelinde gesagt,
merkwürdigen neuen Allianz mit China. Westerwelle hatte sich selbst
zu oft nicht im Griff – wie seine Einlassung von der spätrömischen
Dekadenz bewies. Und er hat seine Partei zunehmend aus dem Blick
verloren. Gegen jeden Sachverstand ließ er viel zu lange am
Steuersenkungsmantra festhalten. So musste der Eindruck entstehen,
dass die FDP gar kein anderes Thema mehr kenne. Als selbsternannter
Erbe des großen Hans-Dietrich Genscher hat Westerwelle wahrscheinlich
schon bei der Wahl seines Ministerpostens den entscheidenden Fehler
gemacht. Er ist auch ein Opfer seiner Eitelkeit. Außer Tradition
sprach nichts dafür, unbedingt ins Außenministerium zu streben. Im
Gegenteil: Westerwelle ist mit Leib und Seele Innenpolitiker. Auch
liegt ihm die Attacke mehr als die Diplomatie. Als Außenminister
hatte er sich also selbst seiner Stärken beraubt und, schlimmer noch,
seine Schwächen offengelegt. Ein Superministerium aus den Ressorts
Arbeit und Wirtschaft beispielsweise hätte viel besser zu seinem
Profil gepasst. Er wollte es anders. Ganze 18 Monate später sieht es
so aus, als müsste Westerwelle dafür nun mit der Aufgabe des
Parteivorsitzes einen ersten Preis zahlen. Es ist nicht der höchste,
aber es muss auch noch nicht der letzte sein. Westerwelle könnte auch
als Nur-Außenminister und Vizekanzler eine Last für seine Partei
bleiben. Die FDP jedenfalls befindet sich in einem denkbar schlechten
Zustand. Wer immer sie demnächst führt, steht vor einer
Herkulesaufgabe.
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