Thilo Sarrazin spaltet die SPD – und einer
schweigt: Klaus Wowereit. Vor einer Woche hatte eine
Kreisschiedskommission in Berlin überraschend entschieden, dass
Sarrazin in der SPD bleiben darf. Das Parteiausschlussverfahren, das
die Berliner SPD und die Bundes-SPD angestrengt hatten, endete damit
am Gründonnerstag schon in der ersten Instanz. Ein möglicherweise
quälend langer Prozess, der auch die Abgeordnetenhauswahl in Berlin
beeinflusst hätte, wurde somit verhindert. Doch mit dem Ergebnis sind
viele, viele Sozialdemokraten in Berlin und anderen Bundesländern so
unzufrieden, dass seitdem ein heftiger Streit in der SPD tobt.
Natürlich öffentlich ausgetragen. Alle, die für die unerwartete
Einigung mit Sarrazin verantwortlich sind, haben deshalb in den
letzten Tagen Stellung bezogen: Generalsekretärin Andrea Nahles, der
SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Michael Müller, am gestrigen
Donnerstag schließlich auch SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel. Sie, die
den Parteiausschluss im vergangenen Jahr wortgewaltig angestrengt und
sich weit von Sarrazin distanziert hatten, verteidigen die
Entscheidung, ihn nun doch in der Partei zu lassen. Einfach fällt
ihnen die Argumentation nicht, aber immerhin stellen sie sich der Wut
der SPD-Mitglieder. Anders als Wowereit. Offiziell heißt es im Roten
Rathaus, Wowereit sei noch außerhalb von Berlin im Urlaub und kehre
erst am heutigen Freitag zurück. Die Pause von der Arbeit sei jedem
gegönnt. Aber selbstverständlich ist Wowereit für seine Mitarbeiter
immer erreichbar. Mehr noch: Seit Gründonnerstag, als die
Schiedskommission ganz Deutschland verblüffte, hat er sich – aus dem
Urlaub heraus – zu ganz unterschiedlichen Themen geäußert. Er
gratulierte dem Kunstsammler Erich Marx zum 90. Geburtstag, forderte
angesichts des 25. Jahrestags der Atomkatastrophe von Tschernobyl
eine andere Energiepolitik, gratulierte Hertha zum Aufstieg, trauerte
öffentlich um die ehemalige Senatorin Anne Klein und begrüßte am
Donnerstag schließlich die EU-weite Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Urlaub? Keine Zeit für Sarrazin? Es mag sich veralbern, wer will.
Auch Wowereit hatte Ende letzten Jahres Sarrazin scharf kritisiert,
als dieser sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte.
Sarrazin teile nicht „den Grundkonsens“ der SPD, er solle die Partei
möglichst freiwillig verlassen, Sarrazins Thesen zur Integration
seien nicht „mit der sozialdemokratischen Grundidee, nämlich der
sozialen Gerechtigkeit“ vereinbar, so Wowereit damals. Und als
stellvertretender Bundesparteivorsitzender betrieb Wowereit den
Antrag auf Parteiausschluss auch aktiv mit. Da möchte man schon
wissen, was er dazu sagt, dass Sarrazin weiterhin in der SPD bleiben
darf. Und auch, ob er persönlich Einfluss auf die Schiedskommission
und die erfolgte Einigung genommen hat, damit Sarrazin ihn nicht im
Wahlkampf stören kann. Integration ist für die SPD, erst recht für
Berlin ein wichtiges Thema. Klaus Wowereit – als Vizechef der SPD und
als Regierender Bürgermeister – muss Stellung beziehen. Eine Sache
aussitzen zu wollen war politisch noch nie klug.
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