»Grüne stimmen gegen Atomausstieg«: Das war die
Schlagzeile, die die Partei- und die Fraktionsspitze gefürchtet
hatte. Sie galt es zu verhindern, und sie wurde verhindert. Ein
Erfolg für Claudia Roth & Co. Doch auch ein Erfolg für die Partei?
»Grüne stimmen gegen Atomausstieg – schwarz-gelbe Pläne gehen nicht
weit genug«: Das wäre die Schlagzeile gewesen, für die die Ökopartei
den Beschluss hätte liefern müssen, um ihrer Politik und ihrem
Anspruch an sich selbst treu zu bleiben. Sie tat es nicht, weil das
Kalkül am Ende stärker war als die Konsequenz. Machtpolitik schlägt
Sachpolitik. Zu loben ist freilich, dass sich die Partei ihre
Entscheidung so schwer gemacht hat. Noch immer ist es ein Wesenszug
der Grünen, dass man nicht vorher schon weiß, wie ein Parteitag
ausgeht. Anders als früher bringt das der Ökopartei heute keine
Ablehnung mehr, sondern es steigert ihre Attraktivität. Auch der
Begriff der Basisdemokratie wird von den anderen Parteien weniger
belächelt als bewundert und nachgeahmt. Mit dem Berliner Beschluss
ist das Alleinstellungsmerkmal der Grünen dahin, nicht jedoch ihr
Dilemma beseitigt. Dieses Ausstiegsszenario braucht die Grünen nicht.
Sie sind allenfalls dabei, aber nicht mittendrin. Jürgen Trittins
Logik, wonach jeder, der für 2017 sei, nicht gegen 2022 stimmen
dürfe, weil er damit für 2040 votiere, läuft ins Leere. Trotzdem
verleihen die Grünen der schwarz-gelben Energiewende von Kanzlerin
Angela Merkel ihr Gütesiegel. Hans-Christian Ströbeles Kritik – »2022
ist gut, aber nicht gut genug« – begegnen sie mit einem gewagten
Vorgriff auf die Zukunft. Das Motto: »Wir nehmen jetzt den Spatz in
der Hand, und die Taube auf dem Dach holen wir uns 2013, wenn wir auf
der Regierungsleiter stehen.« Man darf gespannt sein, welcher
Koalitionspartner da mitmachen wird. So paradox es klingen mag: Das
Votum der Grünen ist sowohl ein Dokument ihres neuen
Selbstbewusstseins als auch der Angst, um den verdienten Lohn ihrer
Mühen gebracht zu werden. Letzteres brachte niemand besser auf den
Punkt als die Europaabgeordnete Rebecca Harms: »Es ist komisch, wenn
die falsche Partei das Richtige tut.« Auch fürchten die Grünen die
fortgesetzte Diffamierung als »Dagegen-Partei«. Doch warum bloß?
Traut die Partei ihren Wählern wirklich so wenig
Differenzierungsfähigkeit zu? Der selbstbewusste Blick auf die
Machtperspektive wurde am deutlichsten, als Renate Künast am
Rednerpult stand. Endlich in Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag
einziehen und dann in Berlin die Regierungsverantwortung übernehmen –
so zeichnete die Fraktionschefin die Linie vor. Sie tat es aus ganz
persönlichen Gründen, schließlich ist sie es selbst, die Klaus
Wowereit ablösen will. Doch da war noch mehr: Am Horizont eines
Parteitags, der den ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer als
Gastredner erlebte, leuchtete es auf einmal schwarz-grün.
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