Rheinische Post: Präsident in Erklärungsnot

Die Finanzwelt aus den Fugen, die Politik
argwöhnisch beäugt – eine Zeit, in der es uns nach über jeden Zweifel
erhabenen Welterklärern dürstet. Eine Stunde für den
Bundespräsidenten also, sollte man meinen. Doch der frühere
Amtsinhaber Horst Köhler beging Fahnenflucht; sein Nachfolger
Christian Wulff ist in eine Kreditaffäre verstrickt. Nach allem, was
wir nach einem hektischen Berliner Tag, befeuert von Äußerungen des
Präsidenten am Rande seiner Wüstenreise, wissen, hat Wulff als
Ministerpräsident den niedersächsischen Landtag nicht belogen. Die
volle Wahrheit hat er aber auch nicht gesagt mit der schneidigen
Begründung, danach sei er ja nicht gefragt worden. Das ist die eine
Seite der Affäre. Die andere: Wulff hat von Freunden einen
Privatkredit erhalten, unter erklärungsbedürftigen Umständen zwar,
aber wohl ohne unmittelbare Gegenleistung. Das eröffnet ihm die
Möglichkeit, im Amt zu bleiben. Wie sehr es aber seine
Glaubwürdigkeit angreift, seine Fähigkeit, im höchsten Staatsamt zur
moralischen Instanz zu reifen, erweist sich erst. Wie immer gilt auch
für diese Affäre: Nicht nur der eigentliche Anlass, sondern auch der
Umgang mit den Folgen und den Fragen der Öffentlichkeit entscheidet
über Wohl und Wehe. Hoffen wir also. Was Deutschland jetzt am
wenigsten braucht, ist eine Staatskrise.

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