HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Wulff

Ein Kommentar von Matthias Iken

Ob der Bundespräsident Christian Wulff (CDU) in den
Geschichtsbüchern große Spuren hinterlassen wird, steht noch dahin.
Aber in die Lehrbücher der Krisenkommunikation dürfte es der
Osnabrücker zweifellos schaffen – als Beispiel, wie man eine kleine
Affäre durch Tricksen, Vertuschen und Verschweigen in ein großes
Scheitern verwandelt. Längst geht es nicht mehr um die Frage, ob der
Kredit für das bescheidene Haus in Großburgwedel zur Staatsaffäre
taugt. Sondern es geht vielmehr um die Frage, ob dieser
Bundespräsident den Anforderungen und der Würde seines Amtes noch
gewachsen ist. Seit gestern sind die Zweifel daran weiter gewachsen.
Es ist schlichtweg eine Ungeheuerlichkeit, wenn ein Staatsoberhaupt
bei einem Chefredakteur eine missliebige Berichterstattung verhindern
will. Dass er dabei noch Drohungen in den Raum stellt und gar
strafrechtliche Konsequenzen für den verantwortlichen Redakteur in
Aussicht stellt, ist ein Unding. Dies auch noch auf eine Mailbox zu
sprechen ist eine bizarre Unbedarftheit. Man darf von einem
Bundespräsidenten nicht nur etwas mehr diplomatisches Geschick und
politisches Gespür verlangen, man muss es auch. Das verhängnisvolle
Telefonat reiht sich ein in eine Serie von Fehlern beim Umgang mit
den Vorwürfen. Statt sich nach den ersten Berichten der
Öffentlichkeit zu stellen, wollte der Präsident die kritischen
Berichte unterdrücken. Danach kam er nur scheibchenweise mit der
Wahrheit heraus – das „langfristige Bankdarlehen“ etwa, das er am
15.?Dezember bekannt gab, unterschrieb Wulff offenbar erst am 21.
Dezember. Und sein Auftritt vor Weihnachten, der in Form als „Mea
culpa“ vielleicht Wirkung hätte erzielen können, war eher eine
Schuldzuweisung – denn das Ergebnis dieser Erklärung war die
Kündigung seines langjährigen Sprechers. Was bleibt, ist der fatale
Eindruck, dass der Präsident, der gerade wegen seiner Glaubwürdigkeit
in das Amt gewählt wurde, nicht mehr glaubwürdig ist. Längst ist die
Grenze überschritten, wo Wulff nicht nur sich als Politiker schadet,
sondern auch dem höchsten Amt der Bundesrepublik.

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