Vorsicht ist kein Skandal
von Joerg Helge Wagner
Ermittler, Geheimdienstleute, Staatsschützer und BKA-Beamte sind
offensichtlich nicht immer so verschwiegen und diskret, wie es ihr
heikler Job eigentlich erfordert. Gestern erfreute uns die „Bild am
Sonntag“ mit Auszügen aus dem internen E-Mail-Verkehr zwischen
Bundespolizei und Bundeskriminalamt. Morgen ist der „Focus“ mit einem
Artikel auf dem Markt, der sich angeblich ebenfalls auf einen
internen BKA-Vermerk stützt. Nun wäre es hochgradig scheinheilig,
ausgerechnet als Angehöriger der Medienbranche solche Indiskretionen
zu bejammern. Nein, wir leben geradezu davon, dass am Ende doch immer
irgendwer quatscht. Im Idealfall hilft uns dieses
Mitteilungsbedürfnis ja auch, Missstände aufzudecken und für
Transparenz zu sorgen. Wer diesen Zusammenhang durchschaut und
akzeptiert, muss dann aber auch die Verhaltensweisen der Ermittler
richtig und sachlich einschätzen. Wenn hochsensible Daten nach dem
Kopieren in einer Behörde gelöscht werden, um sie bei einer anderen
zu konzentrieren, ist das zunächst einmal kein Skandal, sondern
Vorsorge: Sie sollen eben während der laufenden Ermittlungen nicht an
die Öffentlichkeit gelangen, wo sie schlimmstenfalls noch unerkannte
Mittäter warnen und vor Verfolgung schützen könnten. Soweit ist die
gestrige Erklärung von BKA-Präsident Ziercke nachvollziehbar. Und
wenn der besagte Vorgang auf dem Boulevard breitgetreten wird, dürfte
ihn das in seiner Vorsicht nur bestätigen. Transparenz und
vollständige Auskunft sind an ganz anderer Stelle einzufordern: im
Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die skandalösen früheren
Versäumnisse bei der Verfolgung des Neonazi-Untergrundes aufklären
soll. Denn so offensichtlich die Pannen sind, so dubios sind ihre
Ursachen. Wie konnten die Extremisten vom Bildschirm der Fahnder
verschwinden? Wer kam auf die perfide Idee, die zehn Morde
irgendwelchen mafiösen Strukturen zuzuschreiben? Hier müssen die
Akten auf den Tisch – und zwar alle.
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