BERLINER MORGENPOST: Ein seltenes Loblied auf die Demokratie – Leitartikel

Einmal mehr hat Joachim Gauck Zeugnis davon
abgelegt, welch richtige Wahl er ist und welch inspirierendes
Staatsoberhaupt er sein wird. In einer von Selbstzweifeln, Skepsis
und Misstrauen dominierten Zeit hat er sich in seiner ersten
präsidialen Grundsatzrede als Mutmacher empfohlen. Ohne die
offenkundigen Probleme unserer Gesellschaft beiseitezuschieben, hat
er die Demokratie dieses Landes in einer Weise gelobt und gepriesen,
wie es nur einer kann, der Unfreiheit noch persönlich erfahren
musste. Wann hat zuletzt eine Person von Rang und Namen zu sagen
gewagt, dass Deutschland für ihn ein „Land des Demokratiewunders“
sei. Es ist gut, dass Joachim Gauck dies in unser aller Gedächtnis
ruft. Sein Bekenntnis ist zugleich Aufforderung, Mut und
Selbstvertrauen zu haben, sich für dieses Land zu engagieren, sich
einzumischen. Weil es sich in diesem Land der Freiheit lohnt.
Schöneres kann ein Bundespräsident beim Amtsantritt kaum sagen. Und
seine voreiligen Kritiker belehrte er auch eines Besseren. Freiheit
allein sei keineswegs sein Präsidentencredo. Freiheit sei aber
zentral, weil Voraussetzung für Gerechtigkeit und Chancengleichheit.
Und da warf der Bundespräsident denn auch gleich einen Blick über den
nationalen Zaun. Wie er mehr Mut nach innen einfordert, so wünscht er
sich gegenseitiges Verständnis und Solidarität auch gegenüber den
europäischen Partnern. Gauck hat damit kundgetan, dass er thematisch
weder eindimensional noch national begrenzt ist. Darüber gleich zu
Beginn keine Zweifel aufkommen zu lassen ist klug. Alles schöne Reden
hilft allerdings wenig, wenn die Menschen das Vertrauen in die
Politik verlieren. Joachim Gauck allein kann das nicht reparieren. Er
kann aber für gegenseitiges besseres Verständnis zwischen Regierenden
und Regierten werben. Das hat nicht zuletzt durch die Querelen im
Vorfeld auch seiner Wahl weiteren Schaden genommen. Der Präsident hat
die naheliegende Gelegenheit genutzt, beide Seiten zu ermahnen,
stärker aufeinander zuzugehen. Konkreter ist er noch nicht geworden.
Gemeint haben dürfte er das Naheliegende: Der Politikbetrieb muss
durchschaubarer werden, die Bürger andererseits sollten aufhören,
allem Politischen gegenüber abgrundtief misstrauisch zu sein. Näheres
dazu – auch für beide Seiten Unbequemes – werden wir unweigerlich
noch hören. Nach den Wirrungen um seine beiden Amtsvorgänger sind vor
und nach der Wahl Erwartungen mit Joachim Gauck verknüpft worden, die
dem Glauben an den Einzug eines Wunderheilers ins Schloss Bellevue
gleichkamen. Da wird der Präsident zwangsläufig ohne eigenes Vertun
den einen oder anderen enttäuschen. Eine sehr noble Geste gegenüber
seinem gescheiterten und geschmähten Vorgänger war dagegen die
bewusste Nennung des Namens Christian Wulff, als Gauck versprach,
dessen Integrationsbemühungen uneingeschränkt fortzusetzen. Politisch
bewertet, versöhnt das die Migrantenverbände mit ihm. Menschlich
gesehen, weckt es die Hoffnung, dass Menschlichkeit und christliche
Nächstenliebe nicht ganz im Streit der Demokraten untergehen. Auch
dafür sei Gauck gedankt.

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