Mindener Tageblatt: Kommentar zur Situation nach den NRW-Wahlen: / Kanzlerin in Bedrängnis

Die Bundeskanzlerin wird eine Wahlniederlage in
Nordrhein-Westfalen schon deshalb nicht auf die leichte Schulter
nehmen, weil sie selbst ihr Amt einer ähnlich traumatischen
SPD-Erfahrung verdankt: Die Sozialdemokraten verloren gemeinsam mit
dem grünen Koalitionspartner 2005 mit Pauken und Trompeten die
Regierungsmacht in Düsseldorf an Schwarz-Gelb. Kanzler Schröder
entschloss sich zu Neuwahlen, der Rest ist bekannt. Zwar wurde die
Union am Sonntag noch deutlich demütigender vom Wähler behandelt als
weiland die SPD. Und das, obwohl sie schon als Opposition angetreten
war. Doch hier hören die Parallelen auch schon auf, schwebt die
Kanzlerin doch anders als der damalige Amtsvorgänger aktuell auf
einer Woge der Popularität. Dass die sich ausgerechnet ihrem harten
Konsolidierungskurs gegenüber den europäischen Schuldensündern
verdankt, ist so einer der kleinen Widersprüche, mit denen Wähler
Parteistrategen gern verblüffen – wollten sie doch von einem
schmerzhaften Sparkurs in NRW nicht wirklich etwas wissen. Jedenfalls
nicht von Norbert Röttgen. Einen unmittelbaren Machtverlust muss
Angela Merkel also nicht befürchten, auch wenn die Opposition aktuell
vor Kraft kaum laufen kann. Dazu muss es der Kanzlerin allerdings
gelingen, ihre Koalition zusammenzuhalten. Dass die aus drei Parteien
besteht, wird ihr anhand des Konfliktes mit der CSU um das
Betreuungsgeld gerade erst wieder schmerzhaft vor Augen geführt. Und
damit, wie lässig Horst Seehofer dem gerade abgewatschten Röttgen
noch einen linken Haken hinterherschickt. Auch die FDP wird sich gut
überlegen, ob die Themen Betreuungsgeld oder Vorratsdatenspeicherung
nicht genau die Sorte Profilschärfung versprechen, die Erfolgsgarant
Lindner so erfolgreich im bürgerlichen Lager kannibalisieren ließ.
Jenseits innerdeutschen Macht-Klein-Kleins drohen Merkel zudem von
Griechenlands Agonie bis Frankreichs Kurswechsel neue Verwerfungen in
der EU. So gesehen ist das NRW-Debakel noch eines ihrer kleineren
Probleme. Allerdings eins mit düsterer Perspektive.

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