»Ja, aber!« Die Verfassungsrichter haben im
Tenor das von vielen erwartete Urteil zum ESM getroffen. An Klugheit
fehlt es dem Spruch des Zweiten Senats deswegen jedoch nicht.
Karlsruhe zieht klare Grenzen und lässt der Politik zugleich den
notwendigen Spielraum, um möglichen weiteren Unwägbarkeiten in der
Euro-Krise begegnen zu können. Nie zuvor hatte das Gericht so im
Rampenlicht gestanden wie gestern. Selten zuvor war einer
Entscheidung der Verfassungshüter so weitreichende Bedeutung
beigemessen worden. Entsprechend erleichtert reagierten weite Teile
der Politik und – in seltenem Gleichklang – die Finanzmärkte nicht
nur in Europa, sondern weltweit auf den Richterspruch. Auch in der
ansonsten von Schärfe geprägten Haushaltsdebatte des Bundestags war
das Einvernehmen offenkundig. Die Verfassungshüter machen den Weg
für die Ratifizierung des Stabilitätsmechanismus frei, stellen aber
Bedingungen. Deren Wesenskern lautet: Die Mitwirkungsrechte von
Bundestag und Bundesrat dürfen keinesfalls eingeschränkt werden. Und
ganz wichtig: Ohne neuen Beschluss des Gesetzgebers gibt es keine
Ausweitung der Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro. Im
Grundsatz allerdings wurde der ESM, den Parlament und Länderkammer
mit einer übergroßen Mehrheit aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen
beschlossen hatten, von den Richtern bestätigt. Ihr Urteil war in
souveräner Auslegung der eigenen Rolle mit einem Plädoyer für die
Gewaltenteilung verknüpft, das freilich einem Handlungsaufruf an die
Politik gleichkam. »Nur als demokratisch legitimierte
Rechtsgemeinschaft hat Europa eine Zukunft«, mahnte
Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle unmissverständlich.
Heißt im Klartext: Am Haus Europa muss dringend weitergebaut werden.
Es knirscht und knarrt gewaltig! Europa ist mit der Entscheidung des
Verfassungsgerichts der Lösung der Euro-Krise ganz sicher einen
Schritt näher gekommen. Zu gern unterschlagen wird nämlich von den
Kritikern des ESM, dass dieser untrennbar mit seinem
»Zwillingsbruder« Fiskalpakt verbunden ist. So kann fortan überhaupt
nur von den ESM-Hilfen profitieren, wer im Fiskalpakt definierte
Strukturreformen unternimmt. Damit wird erstmals überhaupt dem
gravierenden Systemfehler begegnet, dass einzelne, in Not geratene
Mitgliedsländer die gesamte Euro-Zone in Haftung nehmen und quasi
erpressen können, ohne eine konsequente und kontrollierbare
Gegenleistung zu erbringen. Gleichwohl bleiben der Europäischen Union
wie der Euro-Zone sehr viel Arbeit, und für jede Art von Entwarnung
ist es gewiss zu früh. Vor allem wird es darauf ankommen, dass die
Reformbemühungen der Schuldnerländer nicht unter den jüngsten
Verheißungen der Europäischen Zentralbank erlahmen. Ein im Spätherbst
2012 funktionsfähiger ESM könnte auch dazu einen wesentlichen Beitrag
leisten.
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Andreas Kolesch
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