Neue OZ: Kommentar zu Armut

Keine wirkliche Armut

Vielleicht liegt es am Alter oder dem Wissen um härtere Zeiten.
Oder an der Haltung, der politischen Einstellung oder der
gegenwärtigen Lebenslage. Aber stets, wenn es in Deutschland um das
eigentlich doch messbare Thema Armut geht, klaffen die Vorstellungen
weit auseinander.

Dabei ist es so, dass es Armut im engeren Sinne hierzulande gar
nicht mehr gibt. Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II,
Gesundheitsversorgung und die in ihrer Fülle unüberschaubaren
weiteren Leistungen und Ermäßigungen dienen doch gerade dazu, sie zu
verhindern. Auch wenn manche offizielle Kriterien anderes nahelegen:
Hilfen wie diese zu erhalten lässt sich aus dieser Sicht nicht als
Nachweis von Armut verstehen.

Wenn also regelmäßig von 15 Prozent und mehr in Deutschland die
Rede ist, die von Armut betroffen sein sollen, so werden damit alle
möglichen Probleme benannt – nicht aber bittere, materielle Not.
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Zahlen manchem gar
nicht hoch genug sein können, um seinen ideologischen Standpunkt zu
rechtfertigen.

Die Gefahr: Solche Studien verlieren, ähnlich wie die zum
Klimawandel, drastisch an Glaubwürdigkeit, wenn sie frisiert wirken.
Wem es wirklich schlecht geht, hilft dies nicht. Ferner gibt der
jüngste Bericht einen interessanten Hinweis: Angeblich ist in
Deutschland jeder Fünfte arm. Von sich selbst sagt es nur jeder
Zwanzigste. Offenbar wissen die meisten noch, wie wirkliche Armut
aussieht.

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