Blut muss heute nicht mehr fließen wie etwa in
England vor 850 Jahren, als der Erzbischof Thomas Becket am Hochaltar
der Kathedrale von Canterbury erschlagen wurde, wenn Staat und Kirche
um die Abgrenzung ihrer jeweiligen Sphären streiten. Heute tragen wir
solche Konflikte gewaltfrei aus, zum Beispiel vor dem
Bundesarbeitsgericht. Dessen gestriges Urteil ist gleichwohl von
nicht weniger fundamentaler Bedeutung. Im modernen Staat darf es
keine vom weltlichen Recht freien Zonen geben. Seit der Französischen
Revolution ist das so. Im Staat des Grundgesetzes, der Bundesrepublik
des 21. Jahrhunderts, dürfte es demzufolge auch keine
streikrechtsfreie Zone geben. Dass es sie bislang in kirchlichen
Einrichtungen doch gibt, hat mit der deutschen Verfassungstradition
zu tun, die anders als in Frankreich den strikten Laizismus nicht
kennt. Seit 1919 gibt es hier jene Klauseln, die der Kirche einen
Rest ihrer einstigen Rechtsautonomie noch immer verbürgen. Dass sich
daran nichts ändert, darüber hat bislang das Verfassungsgericht
gewacht. Das gestrige Urteil ist das erste eines höchsten
Bundesgerichts, das dieses kirchliche Sonderrecht in Frage stellt.
Warum auch sollen Ärzte, Altenpfleger oder Kindergärtnerinnen nicht
streiken dürfen? Ihre Arbeit ist höchst weltlich, ob im kirchlichen
Dienst oder nicht. Es braucht also nicht mit anderen Maßstäben
gemessen zu werden als mit jenen, die für alle Arbeitnehmer gelten.
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