Südwest Presse: Kommentar zum Sitzenbleiben

Die Auseinandersetzung ist nicht neu, aber stets
geeignet, die Gemüter zu erregen. Dabei sind sich die meisten
Bildungsforscher längst einig: Bis auf wenige Ausnahmen entmutigt das
Sitzenbleiben, macht nicht schlauer, sondern nur älter. Das umso
mehr, wenn Schüler bloß in einzelnen Fächern schwächeln, in anderen
aber mithalten können. Die Verfechter des Sitzenbleibens betrachten,
obwohl sie das nicht offen aussprechen, die so genannte Ehrenrunde –
schon der zynische Begriff spricht Bände – nach wie vor als
willkommene Sanktionsmöglichkeit. Aufgabe der Schule ist es aber
nicht, Kinder durch Zurücklassen abzustrafen, sondern ihnen ein
Höchstmaß an Förderung angedeihen zu lassen. Vor allem die
öffentlichen Befürworter der antiquierten Regelung neigen zu
Übertreibungen. Dass der Chef des Deutschen Lehrerverbandes, Josef
Kraus, bei nahezu jeder Veränderung absurde Szenarien
heraufbeschwört, ist man inzwischen gewohnt. Das jedoch sollte nicht
darüber hinwegtäuschen, dass auch viele Lehrer das Sitzenbleiben
längst als unbrauchbares Mittel empfinden. Um neue Wege zu gehen,
müssen sie entsprechend ausgestattet werden. Denn individuelle
Förderung kostet Zeit und Geld. Es ist zu hoffen, dass der neue
Landeskultusminister diese Voraussetzungen zu schaffen vermag. Kein
Sitzenbleiben heißt aber auch: Manche Eltern müssen von der Schule
stärker in die Pflicht genommen werden.

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Lothar Tolks
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