Badische Neueste Nachrichten: Mitunter fehlt die Kraft

Noch am Wahlabend, jenem 27. März 2011, als die
Baden-Württemberger die selbstgefällige schwarz-gelbe Koalition auf
die Oppositionsbank schickten und dafür den Grünen und den Roten die
Hebel der Macht anvertrauten, versprach Winfried Kretschmann, das von
ihm geführte Bündnis werde kraftvoll regieren. Zwar ist
Aufschneiderei sonst nicht die Domäne des eher nachdenklichen
Regierungschefs. Doch mit seiner Ankündigung von Tatkraft und
Orientierung hat er augenscheinlich eine Spur zu dick aufgetragen.
Gewiss: Die Landesregierung hat in ihren ersten zwei Jahren
beachtliche Kursänderungen eingeleitet: Sie hat die Weichen für mehr
Energie aus regenerativen Quellen gestellt, hat eine überfällige
Polizeireform ersonnen, einen umfassenden Diskussionsprozess in
Sachen Nationalpark Nordschwarzwald begonnen und in Windeseile das
Schulsystem umgepflügt. All das mag man bejubeln oder bejammern – zum
kraftvollen Regieren gehört aber weit mehr als die stete
Wiederholung, man beteilige sich nicht an den Mehrkosten für das
Milliardengrab Stuttgart 21. Der Mut zu wirklich nachhaltiger
Ausgabendisziplin ist gefragt. Und da liegt es bei Grün-Rot im Argen.
3,3 Milliarden Euro neue Schulden im aktuellen Doppelhaushalt, eine
nicht kleiner werdende sogenannte strukturelle Lücke und dazu eine
allenfalls wahltaktisch nachvollziehbare Großzügigkeit gegenüber den
Staatsdienern beim jüngsten Tarifabschluss – von einem Tritt auf die
Schuldenbremse ist weithin nicht viel zu spüren. Das relativiert am
Ende auch die Ernsthaftigkeit, mit der die Landesregierung bestrebt
ist, die Bürger in Entscheidungen einzubeziehen und mitreden zu
lassen. Bemerkenswert ist solche Inkonsequenz allemal – zumal der
Ministerpräsident einst als Oppositionspolitiker nicht müde wurde,
den damaligen Prassern den Spiegel vorzuhalten. Politik hat laut
Kretschmann die Pflicht, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Das
gilt erst recht für eine Politik des Gehörtwerdens.

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