Impulsiv und wortgewaltig legte er, wenn sie
gefragt war, seine Meinung zur Lage auf dem Literaturmarkt dar – ohne
Umschweife, für viele Autoren verletzend, aber vielen auch den Weg in
die Regale der Buchhandlungen ebnend. Denn bei allen Kontroversen,
die er auslöste: Die Stimme Marcel Reich-Ranickis hatte immer
Gewicht, wurde nie überhört, stets bedacht.
Wohl weil man ihm abnahm, dass seine Kritik nicht bestimmt war vom
literarischen Zeitgeist. Leser und Publikum spürten, Reich-Ranicki
ließ sie teilnehmen an seinem eigenen Leseerlebnis- völlig
ungekünstelt und nur der eigenen Authentizität verpflichtet. Dabei
erwies er sich auf durchaus skurrile Art zugleich als klug und höchst
unterhaltsam. Es gehört zur Lebensleistung Reich-Ranickis, dass er
sich mit seinem scharfsichtigen Blick auf die deutsche Literatur zu
ihrem Anwalt machte.
Doch seine größte Lebensleistung ist eine andere: Dieser knurrige
alte Mann hat den Deutschen gezeigt, was Vergebung bedeutet. Vom
Rassenwahn der Nazis mit dem Tode bedroht, von ihnen im Warschauer
Ghetto eingesperrt, vor ihrem Terror jahrelang auf der Flucht, kehrte
er Deutschland nach Kriegsende nicht den Rücken. In seinen frühen
Jahren in Berlin sei die Literatur dieses Landes seine Heimat
geworden, sagte Reich-Ranicki einmal.
So war die Unerbittlichkeit, mit der er diese Literatur auf den
Prüfstand stellte, wohl eine ganz spezielle und innige Form der
Heimatliebe. Wie gut, dass er sie mit uns teilte.
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Oldenburgische Volkszeitung
Andreas Kathe
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