Allg. Zeitung Mainz: Unzeitgemäß / Kommentar zum Streikrecht für Kirchenmitarbeiter

Privilegien haben es so an sich, dass sie irgendwann
nicht mehr zeitgemäß sind. In der Regel werden sie durch die
Neuordnung gesellschaftlicher Konventionen obsolet. Bei verbrieften
Rechten bedarf es dagegen einer höchstrichterlichen Entscheidung, bis
sich das Recht der Zeit anpasst. Dabei kommen die Kirchen mit dem
Spruch des Bundesarbeitsgerichts noch gut weg. Die Erfurter Richter
haben das Streikverbot in ihren Einrichtungen nämlich nicht
aufgehoben, sondern nur gelockert. Der sogenannte Dritte Weg, bei dem
die Arbeitsbedingungen von Caritas- und Diakonie-Mitarbeitern
gütlich ausgehandelt werden sollen, bleibt grundsätzlich bestehen –
auch wenn von nun an die Gewerkschaften mit am Verhandlungstisch
sitzen. Die Kirchen sollten sich gut überlegen, ob sie gegen dieses
Urteil tatsächlich vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen.
Warum sollte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vor dem ebenfalls
grundgesetzlich garantierten Streikrecht stehen, wenn doch die
Mitarbeitergehälter bei den Sozialdiensten zum weit überwiegenden
Teil aus öffentlichen Mitteln oder aus den Sozialversicherungen
gespeist werden? Jenseits aller Rechtsfragen aber wird es Zeit, dass
die Kirchen ihre Blickrichtung ändern. Ausgerechnet ihre
Einrichtungen tun sich unter dem massiven Druck der Ökonomisierung
des Gesundheits- und Sozialwesens immer wieder dadurch hervor,
niedrigere Standards zu setzen. Die Missstände im deutschen
Sozialwesen ließen sich leichter beheben, wenn sich künftig alle
sozialen Träger auf Flächentarifverträge verständigen würden, die im
besten Fall für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dann wären auch
privat betriebene Altenheime und Kliniken daran gebunden. Bei den
Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialbereich
geht es nicht nur um das Verhältnis von Arbeitnehmern zu
Arbeitgebern. Es geht auch um die Frage, welche Fürsorge wir Kranken
und Schwachen in unserer Gesellschaft zugestehen.

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