AOK: Neues Finanzierungsgesetz für die gesetzliche Krankenversicherung ist Flickschusterei / Nachhaltigkeit fehlt – Beitragszahler werden noch stärker zur Kasse gebeten

Das neue Finanzierungsgesetz für die
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verfehlt aus Sicht der AOK
Baden-Württemberg die gesteckten Ziele. Das teilt die größte
Krankenkasse im Südwesten am Freitag (12.11.2010) in Stuttgart mit.
Auf Dauer seien mit dem Gesetz die Finanzierungsprobleme der GKV
nicht zu lösen. Vielmehr grenze das Werk an Flickschusterei, packe
die Probleme des Gesundheitswesens nicht bei den Wurzeln an, sondern
gehe dem Beitragszahler nur an den Geldbeutel.

„Mit dem –GKV-Finanzierungsgesetz– wird nun schnell mehr Geld in
das Gesundheitssystem gepumpt und keine wirkliche, weil nachhaltige
Ausgabenbegrenzungspolitik betrieben. Ganz so, als wolle man einen
löchrigen Ballon dauerhaft mit Luft füllen“, sagt Dr. Rolf Hoberg,
Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg. Versicherte und Unternehmen
würden ab Januar durch die Erhöhung des einheitlichen Beitragssatzes
zur Kasse gebeten, danach einseitig die Versicherten durch den
sogenannten Zusatzbeitrag. Vom zusätzlichen bürokratischen Aufwand
für Unternehmen wie Krankenkassen ganz zu schweigen. Dieser ergebe
sich insbesondere durch den sogenannten Sozialausgleich, der für
einkommensschwache Versicherte gelten soll und durch das veränderte
Meldeverfahren.

Insgesamt sei mit dem Gesetz – wieder einmal – die Chance verpasst
worden, durch mehr Wettbewerbselemente und Verbindlichkeit
wirkungsvoll und nachhaltig auf Kostenstrukturen einzuwirken. Hoberg:
„Die Krankenkassen hätten durch das Gesetz stärker in die Lage
versetzt werden müssen, Verträge direkt mit Leistungsanbietern, wie
beispielsweise auch Krankenhäusern, zu schließen. Nur so hätte eine
breite Bewegung im deutschen Gesundheitswesen entstehen können, die
sich Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht nur auf die gemeinsame
Fahne geschrieben, sondern auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt
hätte. So aber fehlen solche Anforderungen im neuen Gesetz völlig.“

Dadurch werde es jetzt insgesamt zu einer weiteren Schwächung von
Versorgungsstrukturen, allen voran der Hausarztstrukturen kommen, mit
spürbar negativen Folgen vor allem im ländlichen Raum. „Dieser
drohenden Entwicklung haben wir in Baden-Württemberg begonnen, durch
den Hausarztvertrag und die Facharztverträge einen Riegel
vorzuschieben. Mit fast einer Million Versicherten, die am
Hausarztprogramm teilnehmen, ist zwar bereits nach kurzer Zeit
Erfolgsgeschichte geschrieben worden. Nur braucht das bundesdeutsche
Gesundheitswesen insgesamt mehr solcher Erfolge und die wird es mit
diesem Gesetz nicht geben können“, so Hoberg weiter.

Anlass zur AOK-Kritik im neuen Gesetz sind auch die Regelungen zur
Vorkasse bei Arztbesuchen, der sogenannten Kostenerstattung. „Da die
Bindungsfrist von einem Jahr auf ein Quartal aufgeweicht wird, ist
dies eine Einladung an die Leistungserbringer, Wartelistenmanagement
zu betreiben und Versicherte zur Kostenerstattung zu drängen“, sagt
Hoberg. In diesem Fall könnten Ärzte nämlich den deutlich höheren
Satz für Privatpatienten verlangen. Der Versicherte bleibe nach der
Behandlung auf bis zu 80 Prozent der Kosten sitzen, da die
Krankenkasse nur den Betrag erstattet, den diese selbst dem
Leistungserbringer zahlen würde. Hoberg: „Hier wird ein weiterer
Spaltpilz in die soziale Krankenversicherung gelegt.“

Als „puren Aktionismus“ bezeichnet Hoberg die in letzter Minute
eingebrachte Regelung, wonach Krankenkassen geringere
Verwaltungskosten zugewiesen bekommen, sofern sie bis Ende 2011 nicht
mindestens zehn Prozent ihrer Versicherten mit „Elektronischen
Gesundheitskarten“ ausgestattet haben: „Diese Regelung führt der
Akzeptanz des eigentlich sinnvollen Projektes bei der Bevölkerung
weiteren Schaden zu, denn es sollen Karten ausgegeben werden, die im
Vergleich zu den heutigen derzeit keinerlei Zusatznutzen haben. Hinzu
kommt, dass die Arztpraxen flächendeckend gar nicht die für die neue
Karte erforderlichen Lesegeräte haben und die Versicherten daher dann
zwei Karten benötigen – die bisherige Krankenversicherungskarte und
die neue“, sagt Hoberg. Für diese Art von Symbolpolitik fehle jedes
Verständnis.

Die AOK Baden-Württemberg versichert über 3,7 Millionen Menschen
im Land und zahlt rund 11 Milliarden Euro pro Jahr an Leistungen in
der Kranken- und Pflegeversicherung.

Weitere Informationen zur AOK Baden-Württemberg im Internet unter:
www.aok-bw.de

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