Badische Neueste Nachrichten: Am längeren Hebel

Der Fortschritt ist eine Schnecke. Langsam nur
kommen die schwarz-gelbe Regierung und die rot-grüne Opposition bei
ihren Verhandlungen über den europäischen Fiskalpakt voran – aber
immerhin, sie kommen voran. Bei ihrem Treffen im Kanzleramt haben
sich die Partei- und Fraktionschefs nicht nur in etlichen Sachfragen
angenähert, sondern auch eine Einigung über den weiteren Fahrplan
erzielt. Heute in einer Woche, am 21. Juni, sollen bei einer
ganztägigen Sitzung alle noch offenen Fragen geklärt werden. Damit
spricht alles dafür, dass Bundestag und Bundesrat noch vor der
parlamentarischen Sommerpause sowohl den dauerhaften
Euro-Rettungsschirm ESM wie den Fiskalpakt zur Begrenzung der
Staatsschulden verabschieden. Regierung wie Opposition wissen nur zu
gut, dass ganz Europa auf die Bundesrepublik blickt und von der
ökonomisch stärksten Macht der EU ein klares Bekenntnis zum Euro und
ein wichtiges Signal zur Rettung der Gemeinschaftswährung erwartet.
Eine Hängepartie ausgerechnet in Deutschland, der
Konjunkturlokomotive und dem Stabilitätsanker, würde angesichts der
dramatischen Zuspitzung der Lage in Spanien, Zypern und Italien nicht
nur die Märkte verunsichern, sondern auch das Vertrauen in den Euro
weiter erschüttern. Auf Deutschland kommt es an, mehr denn je. Das
ist auch Sozialdemokraten und Grünen klar. Zwar wollen sie ihre
Muskeln zeigen, Angela Merkel und die schwarz-gelbe Koalition ein
wenig zappeln lassen und den politischen Preis für ihre Zustimmung
zum Fiskalpakt in die Höhe treiben, im Grunde aber ist ihnen bewusst,
dass sie keine echten Druckmittel in der Hand haben. An ihnen kann
und darf der Fiskalpakt nicht scheitern, sie könnten kaum erklären,
warum sie in Europa gegen eine Schuldenbremse sind, die sie selber in
Deutschland im Grundgesetz verankert haben. So pumpen sich Gabriel,
Trittin und Co künstlich auf, machen sich größer als sie in Wahrheit
sind und ziehen die Verhandlungen in die Länge, um ihren eigenen
Abgeordneten wie Wählern vorzugaukeln, wie hart sie verhandelt
hätten. In jeder Beziehung sitzen SPD und die Grünen am kürzeren
Hebel. Denn was würde denn geschehen, wenn sie tatsächlich den
Fiskalspakt scheitern ließen? Sie gerieten nicht nur in
Erklärungsnot, weil sie in Deutschland für die Schuldenbremse
gestimmt haben, sondern sie würden dem Euro den Todesstoß geben, also
gerade das Projekt torpedieren, für das sie angeblich mit ihrem
Herzblut kämpfen. Denn scheitert der Fiskalpakt, würde der Euro
sofort wieder zur Spekulationsbeute der Märkte. Die Fliehkräfte
zwischen Nord und Süd würden so stark, dass die Euro-Zone
auseinanderbrechen würde. Das wissen auch Gabriel und Trittin. Sie
haben deshalb keine andere Wahl, als dem Fiskalpakt zuzustimmen.
Angela Merkel spielt das Spiel der Opposition nur aus taktischen
Gründen mit. Die kühle Taktikerin sitzt am längeren Hebel. Sie weiß,
dass sie am Ende genau das bekommt, was sie von Anfang an wollte:
Eine breite Mehrheit für ESM und Fiskalpakt in Bundestag und
Bundesrat. Und das noch vor der Sommerpause.

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Klaus Gaßner
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