Nun steht sie also, die schwarz-gelb-rot-grüne
Riesenkoalition, mit deren Stimmen sich Deutschland am Donnerstag von
der Atomkraft verabschieden wird – ein Beschluss, den in Form wie
Inhalt vor einem halben Jahr kein Mensch für möglich gehalten hätte.
Man darf also gerne noch einmal Luft holen vor diesem fast schon
historisch zu nennenden Beschluss, der aus Widerstand
Regierungspolitik werden lässt. Anti-AKW-Sonne verdrängt Bundesadler.
Ein bemerkenswerter Etikettenwechsel, der quasi nebenbei mit ein paar
Vorurteilen aufräumt, die Otto Normalwähler ganz gerne gepflegt hat
gegenüber seinen Abgeordneten, auch gegenüber der repräsentativen
Demokratie insgesamt. Zum einen spiegelt der bevorstehende
Ausstiegsbeschluss im Gegensatz zu manch anderer parlamentarischen
Volte der vergangenen Jahre das Meinungsbild in der Bevölkerung ganz
gut wider. Die übergroße Mehrheit der Deutschen stand und steht der
Atomkraft seit jeher skeptisch gegenüber, skeptischer als die meisten
anderen Nationen. Das mag man als Hasenfüßigkeit werten, als „German
Angst“. Oder auch als Sonderweg, als Ausdruck einer besonderen
Weitsichtigkeit, vielleicht sogar als späten Kriegsfolgeschaden, je
nach eigenem Standpunkt. Unterm Strich aber werden die Volksvertreter
am kommenden Donnerstag Volkes Willen Gesetzeskraft geben. Und so
soll das ja am Ende auch sein in der Demokratie. Widerlegt wird an
diesem Tag auch die These, dass die Politik gerade in den Zeiten
galoppierender globaler Konkurrenz ganz zwangsläufig der nationalen
Ökonomie folgt, sich mehr oder weniger bedingungslos den kurzfristig
angelegten Interessen diverser Großkonzerne unterordnet. Das
Gegenteil wird am Donnerstag exekutiert, das Primat der Politik.
Ökonomisch betrachtet ist der Ausstieg aus der Kernkraft zunächst ein
ungedeckter Wechsel, ein Beschluss gegen die Interessen weiter Teile
der deutschen Wirtschaft. Ein Risiko für die deutsche
Wohlstandsgesellschaft, das niemand unterschätzen sollte und das sich
nur dann in eine Chance wandeln lässt, wenn auch die folgenden
Schritte zügig und möglichst im Konsens gegangen werden. Erhebliche
Investitionen in erneuerbare Energien, insbesondere in die Windkraft
auf dem Wasser und auf dem Land, müssen ermöglicht und staatlich
gefördert werden. Das Gleiche gilt für Investitionen, die der
Absenkung des Energieverbrauchs zum Beispiel in Privathäusern dienen.
Darauf dürfen nicht Häuslebauer und Mieter hängen bleiben. Der Ausbau
von Leistungs- und Speicherkapazitäten für diese erneuerbaren
Energien darf keinesfalls von der deutschen Rechtswegebürokratie
Richtung Sankt Nimmerlein umgeleitet werden. Man wird außerdem Wege
finden müssen, energieintensiven Industrien den Verbleib im Lande
schmackhaft zu machen. Eine Deindustrialisierung ist trotz aktueller
grüner Themendominanz nicht mehrheitsfähig in der demnächst
atomkraftfreien Zone Deutschland.
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