BERLINER MORGENPOST: Das Rennen ist eröffnet / Leitartikel von Christine Richter

Wahlen werden über Personen entschieden, das wissen
inzwischen auch alle Parteien. Und weil das so ist, tun sich fast
alle Parteien im Bundestag ein Jahr vor der Bundestagswahl
außerordentlich schwer mit der Auswahl ihrer Spitzenkandidaten.
Immerhin bei den Grünen hat einer der potenziellen Kandidaten jetzt
den Mut gefunden, seinen Anspruch auf eben diese Position anzumelden.
Jürgen Trittin, der ehemalige Bundesumweltminister, erklärte in einem
Brief an die Parteimitglieder, dass er antreten wolle. Weil es bei
den Grünen ein Spitzenduo sein muss, fehlt nun noch eine Frau.
Trittin wollte dazu lieber nichts sagen, denn als Spitzenkandidatin
stehen gleich drei bundesweit bekannte Grünen-Politikerinnen bereit.
Claudia Roth hält sich für unverzichtbar, Renate Künast, die
gescheiterte Grünen-Spitzenkandidatin bei der Berliner
Abgeordnetenhauswahl, wäre klug beraten, zu verzichten und sich nicht
noch eine persönliche Niederlage anzutun. Und Katrin Göring-Eckardt,
die wie Künast zum Realo-Flügel zählt, sollte den Mut haben, sich zu
bewerben. Veränderung tut auch den Grünen gut. Trittin, das ist nicht
verwunderlich, strebt ein Bündnis mit den Sozialdemokraten an. Sein
Ziel ist es, Schwarz-Gelb abzulösen, auch wenn – so zeigt es der
Blick in die Umfragen – Rot-Grün von einer eigenen Mehrheit noch weit
entfernt ist. Unklar ist auch, mit wem Trittins
Wunschkoalitionspartner in die Wahl ziehen wird. Auch hier drei
potenzielle Anwärter: Sigmar Gabriel, eigentlich in eine Babypause
verschwunden, meldet sich laufend zu Wort, damit er bloß nicht in
Vergessenheit gerät. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hält
sich alles offen und baut auf seine Unterstützer in der eigenen
Partei. Und Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, so viel scheint
inzwischen sicher, auch wenn es keiner offen sagen will, nutzt die
unentschiedene Zeit, um Reklame in eigener Sache zu machen – und
seinen Kurs für Vorträge in die Höhe zu treiben. Wer Gabriel erlebt,
kann kaum noch Zweifel haben, dass er die Spitzenkandidatur für sich
fordern wird – erst am Sonntag griff er die Banken erneut scharf an,
das soll sein Thema für den Bundestagswahlkampf werden. Wann Klarheit
herrscht bei den Grünen, bei SPD oder der FDP – wo sich die
Putschgerüchte gegen Parteichef Philipp Rösler mehren -, ist unklar.
Die Grünen werden möglicherweise erst in einer Urwahl über das
Spitzenduo entscheiden. Das bedeutet, dass die Grünen Wahlkampf vor
dem eigentlichen Wahlkampf führen. Die SPD will sich bis Anfang des
Jahres Zeit lassen, die FDP wird den Verbleib von Rösler an der
Parteispitze wohl vom Ergebnis der Niedersachsenwahl am 20. Januar
2013 abhängig machen. Fliegt die FDP aus dem Landtag, ist auch Rösler
weg. Nur eine Partei kann sich die Sache gelassen anschauen,
zumindest so lange, solange es in den Umfragen nicht zu einer linken
Mehrheit oder einer Ampelkoalition reicht. Die CDU wird mit Angela
Merkel in die Wahl ziehen, das ist schon heute eine Botschaft. Eine
klare.

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