BERLINER MORGENPOST: Die Grünen werden konkret – Leitartikel

Sie haben es eilig: Am Wochenende haben die Grünen
als erste Berliner Partei ihr Wahlprogramm beschlossen. Sie haben
sich nach vielen, auch innerparteilich kontroversen Debatten auf ein
mehr als 100 Seiten umfassendes Papier verständigt. Mit ihren Reden
zum Programm insgesamt und zur Bildung im Besonderen hat Renate
Künast nun deutlich gemacht, was sie in Berlin vorhat und vor allem,
was sie anders machen will als Klaus Wowereit, der nun schon seit
zehn Jahren in der Stadt regiert. Für die Berliner ist es gut, dass
es nun konkret wird. Dass es bei dieser Abgeordnetenhauswahl nicht
nur um die Frage Wowereit oder Künast geht, sondern auch um Inhalte.
Nur wenn man weiß, was die Parteien inhaltlich planen, hat man
wirklich eine Wahl. Und wie der Zufall es will, hat auch die Linke,
die ja ebenfalls schon das zehnte Jahr in Berlin regiert, am
Wochenende auf einer Klausurtagung erste Punkte festgelegt, die in
ihr Wahlprogramm fließen werden. Sie will die Wasserbetriebe in eine
Genossenschaft umwandeln, und sie will mehr Einfluss auf die S-Bahn
nehmen und einen landeseigenen S-Bahn-Wagenpark schaffen. Sie will
ein Berliner Stadtwerk errichten und wegen der berlinweiten
Mietsteigerungen mindestens 3000 neue städtische Wohnungen bauen.
Leider will die Linke all dies mit neuen Schulden finanzieren. Denn
die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse lehnt sie ja
grundsätzlich ab – ganz im Stile einer Oppositionspartei. Der Linken
um ihren Spitzenkandidat Harald Wolf, der es als Wirtschaftssenator
besser wissen müsste, sind ihre Wahlversprechen, bei denen der Staat
alles regeln und richtig machen soll, wichtiger. Es gibt für die
Berliner am 18. September also durchaus Alternativen – nicht nur in
der sicherlich wichtigen Energie- und Wirtschaftspolitik, sondern
auch in der Verkehrs-, der Sicherheits- und auch in der
Bildungspolitik. So stellt die SPD, da hat Renate Künast ja recht,
seit 16 Jahren den Bildungssenator. Viele Schulreformen später ist
der Zustand an den Schulen immer noch schlecht. Der Sanierungsbedarf
ist immens, es fehlen Lehrer, bei bundesweiten Bildungstests landen
die Berliner Schüler am Ende der Skala. Was meinen die
Sozialdemokraten eigentlich, wenn sie jetzt im Wahlkampf versprechen,
sie würden mehr für die Bildung tun? Was haben sie die letzten beiden
Jahrzehnte getan? Und wer es ernst nimmt mit seiner Wahlentscheidung,
kann sich in den kommenden Monaten schlau machen: SPD und Linke
glauben auch in der Bildung an den Staat, haben mit Privatschulen
wenig im Sinn und das Ziel einer Einheitsschule nicht aus den Augen
verloren. Nach der Schaffung der neuen Sekundarschulen versprechen
sie jetzt, auf weitere Reformen zu verzichten. CDU und FDP wollen
genau das Gegenteil von Rot-Rot: Sie möchten vor allem das Gymnasium
stärken und Vielfalt fördern. Und die Grünen? Nun, auch sie streben
eine Schule für alle an, aber sie möchten Vielfalt zulassen, keinen
Cent in der Bildung sparen und versprechen, dass sie mehr Geld in die
Sanierung der Bildungseinrichtungen investieren werden. Was für
Unterschiede. Wahrscheinlich werden nur wenige Berliner die dicken
Wahlprogramme lesen. Aber hoffentlich hören sie den Spitzen- und all
den anderen Kandidaten in den nächsten Monaten genau zu. Denn dann
erfahren sie, wie unterschiedlich die Vorstellungen der Parteien in
Berlin sind. Keine Wahl? Das Gegenteil ist der Fall.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de