BERLINER MORGENPOST: Ein Böhrnsen taugt nicht nur für Bremen – Leitartikel

Nichts Neues also an der Weser? Alles wie immer?
Schon in Osterholz-Scharmbeck, könnte man meinen, interessiert sich
heute kein Mensch mehr für dieses Bremer Wahlergebnis. Die SPD
gewinnt, die Grünen beschaffen eine mehr als sichere Mehrheit. Auch
die Union hätte das gerne getan, muss nun aber mit Platz drei
vorliebnehmen. Die FDP fliegt ganz raus, trotz der Nothilfe des neuen
Hoffnungsträgers Philipp Rösler, der sich in der vergangenen Woche
ziemlich ins Zeug gelegt hatte. Ein bitterer Tag für Schwarz-Gelb.
Aber auch das ist ein Stück Normalität in der Hansestadt. Es lohnt
sich dennoch, etwas genauer hinzuschauen. Zumindest für all jene
Parteien, die sich in den kommenden Monaten ebenfalls Wahlen zu
stellen haben. Denn Bremen – ausgerechnet dieses kleine,
unauffällige, unspektakuläre Bremen – steht ein bisschen auch für das
große Ganze. Für deutschen Durchschnitt. Für die größeren Städte im
Land. Markenartikler legen ihre neuen Waren hier gerne vorzeitig in
die Auslage, um zu sehen, wie was läuft. Vielleicht gilt das ja auch
in der Politik. Und zwar jenseits der üblichen Parteiarithmetik. So
bestätigt das Bremer Wahlergebnis deutlich, was man bei der Union
spätestens seit Ole von Beust hätte wissen können: Wahlsiege sind in
den großen Städten nur dann zu erringen, wenn es dem eigenen
Personal, insbesondere dem Spitzenkandidaten gelingt, zumindest in
Teilen des gegnerischen Lagers zu punkten. Fleißige, aber blasse
Zählkandidaten, die nicht einmal das eigene Lager so richtig
begeistern, bringen es bestenfalls auf Achtungserfolge.
CDU-Kandidatin Rita Mohr-Lüllmann ist da ein klassisches Beispiel.
Berlins Frank Henkel könnte im Spätsommer ein zweites werden.
Insofern sollte es in der Hauptstadt-CDU heute heißen: hingucken,
nicht wegducken. Das gilt auch für die Sozialdemokraten. Jens
Böhrnsen hat angesichts des immer noch miserablen Bundestrends für
seine Partei ein hervorragendes Wahlergebnis abgeliefert. Seine
persönlichen Werte sind weit besser als die seiner Partei. Der Kurs
des soliden, eigentlich unscheinbaren früheren Verwaltungsrichters,
der wirtschaftliche Kompetenz mit sozialem Zusammenhalt und
ökologischer Verträglichkeit zu paaren versucht, findet auch im
bürgerlichen Lager Resonanz. Böhrnsen, das liegt nach dieser
Weser-Wahl nahe, könnte eine Art Blaupause werden bei der Suche nach
einem künftigen rot-grünen Kanzlerkandidaten. Das gilt für die von
ihm vertretenen Inhalte, das gilt aber auch für sein zurückhaltendes
Auftreten. Für Klaus Wowereit und das Abschneiden der Berliner SPD
jedenfalls hat der Bremer die Latte, bei aller Unterschiedlichkeit
der Städte, ganz schön hoch gelegt. Noch ein Satz zu den Grünen:
Karoline Linnert, die ebenfalls jenseits der Bremer Stadtgrenzen kaum
bekannte Spitzenkandidatin, hat alles richtig gemacht. Sie hat
Beharrlichkeit gezeigt und Konstanz. Und sie hat verlässlich der
Versuchung widerstanden, ihr Fähnchen nach dem Wind zu hängen. Das
unterscheidet Linnert von Renate Künast. Und genau das macht es gar
nicht so unwahrscheinlich, dass ihr Kalkül aufgeht, und sie
tatsächlich im Jahr 2015 die erste Bremer Senatspräsidentin nach dem
Krieg werden könnte, die nicht der SPD angehört.

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