Man darf dem Bundespräsidenten eins noch immer
abnehmen – oder glauben – auch wenn es manchmal schwer fällt:
Christian Wulff wollte dieser Republik ein guter Präsident sein. Er
wollte in diesen nicht ganz übersichtlichen Zeiten Maßstäbe setzen,
Kompass sein und – dies vor allem – Integrator in einer Welt der
stetig auseinanderdriftenden Einzelinteressen. Er ist mit warmem
Herzen ins Schloss Bellevue gezogen, mit der inneren Überzeugung, an
dieser Stelle dem Land vorzüglich dienen zu können, womöglich besser
als jeder andere. Aus dieser Haltung – heute kann man sagen:
Selbstüberschätzung – heraus hat er Ursula von der Leyen, die ja
längst unterwegs war in Richtung Bellevue, zur Seite geschubst. Aus
dieser Haltung heraus hat er Joachim Gaucks Gegenkandidatur ertragen,
unter deren Leichtigkeit und Unangefochtenheit er sehr gelitten hat.
Aus dieser Haltung heraus hat er auch noch die Demütigungen der
ersten beiden Wahlgänge in der Bundesversammlung hingenommen. Wulff
ist schwer ins Amt gekommen, auch deshalb kann er nicht leicht gehen.
Das wäre, so empfindet er es, der Gipfel der Ungerechtigkeit. Angela
Merkel weiß, dass das ein Irrtum ist. Dass Wulffs Nominierung ein
Fehler war, der am Ende auch auf sie zurückfällt. Sie kannte ihren
Stellvertreter im Amt der CDU-Bundesvorsitzenden – auch sein zweites,
mitunter skrupelloses Gesicht. Sie wusste, dass Wulff im Zweifel dazu
in der Lage war, alle Maßstäbe von Fairness und Vorbildhaftigkeit zu
seinen eigenen Gunsten zu verrücken. Dass er eben kein geborener
Präsident ist, sondern im Grunde ein verhinderter Möchtegern-Kanzler.
Ein Machtpolitiker, dem es fast unerträglich geworden war, Angela
Merkel auf absehbare Zeit nicht ablösen zu können. Was die Kanzlerin
vielleicht nicht wissen konnte, und was wir heute wissen, was manche
in der Union schon damals ahnten: Wulff gehört zu jener Sorte
Politiker, die Wasser predigen, aber den Wein zu schätzen gelernt
haben. Das ist menschlich, allzu menschlich. Aber am Ende eine zweite
schlechte Voraussetzung für das Amt des Bundespräsidenten, dessen
Grundvoraussetzung eine moralische Autorität ist, über die Christian
Wulff nicht verfügt. Vielleicht kannte er selbst diesen eklatanten
Mangel nicht, jedenfalls erkannte er ihn nicht im Moment seiner
Bewerbung. Inzwischen aber liegt er offen zu Tage, und das Leugnen
wird von Tag zu Tag peinlicher. Daran, an diesem zentralen Mangel,
kann auch der ebenso stürmische wie uneigennützige mediale
Dauereinsatz des Pastoren Peter Hintze nichts ändern – sein
vielleicht letzter öffentlich in den Ring steigender Unterstützer. Es
ist jetzt an der Zeit, dass die beiden, die einzig dazu in der Lage
sind, ihren Irrtum zu revidieren, sich zusammensetzen. Und
Konsequenzen ziehen. Die Bundeskanzlerin und ihr Präsident.
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