BERLINER MORGENPOST: Ein respektvolles Duell / Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Das lässt hoffen. Die erste öffentliche
Auseinandersetzung zwischen dem frisch gekürten Herausforderer Peer
Steinbrück und der Amtsinhaberin Angela Merkel war keine Haudrauf-
Veranstaltung, sondern ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Duell.
Das Florett dominierte. Das konnte eigentlich auch nicht überraschen,
weil sich Opposition – mit Ausnahme der Linkspartei – und
Regierungskoalition in den Grundfragen der europäischen Einigung wie
der Bedeutung des Euro ziemlich nah sind. Die Kanzlerin war denn auch
gut beraten, gleich zu Beginn ihrer Regierungserklärung vor dem
nächsten Euro-Gipfel SPD und Grünen dafür zu danken, dass beide den
bisherigen Euro – Rettungspaketen zugestimmt haben. Ein wohlbedachtes
und zudem kluges Lob der Kanzlerin, weil sie damit zur Entschärfung
des mit Spannung erwarteten ersten öffentlichen Aufeinandertreffens
von Amtsinhaberin und Herausforderer beitrug. Es weckt die Hoffnung,
dass beide auch im nahenden Bundestagswahlkampf die Contenance
wahren.

Zumindest konnte die Kanzlerin noch einmal klar punkten, als sie
den Solidaritätsfonds zur Unterstützung von Reformen in europäischen
Krisenländern vorschlug. Und eine konkrete Finanzierungsempfehlung
gleich mitlieferte: die Transaktionssteuer. Damit reagierte Angela
Merkel nicht nur auf die Kritik vieler ihrer europäischen
Regierungspartner, sondern schlug auch der Opposition ein
überzeugendes Argument gegenüber der bisherigen Positionierung der
Koalition aus der Hand. Denn längst ist klar geworden, dass mit
Sparprogrammen allein die siechen südlichen Euro-Länder kein
rettendes Ufer erreichen werden. Die überfällige Haushaltssanierung
ist das eine, Hilfe zur Belebung von Wirtschaft das andere.

Peer Steinbrück sollte aus der Debatte am Donnerstag die Einsicht
ziehen, dass auf dem europäischen Feld schwerlich ein Blumenpott für
ihn zu gewinnen ist. Zumal Angela Merkel mit ihrem Beharren, neue
finanzielle Zusagen an die Umsetzung konkreter Reformen in den
Nehmerstaaten zu binden näher bei den Wählern ist als Steinbrück. Der
SPD-Kanzlerkandidat sprach nur davon, dass Griechenland weitere Hilfe
benötige.

Nur wenn es doch noch zur ganz großen Euro- und Wirtschaftskrise
kommt – was auch die Opposition im Bundestag nicht hoffen darf – muss
die Kanzlerin um ihre Reputation bangen. Nach dem Rede-Duellchen am
Donnerstag ist noch gewisser geworden, dass Peer Steinbrück und die
Sozialdemokraten bei der Bundestagwahl nur auf dem innenpolitischen
Acker ernten können. Aber auch das wird schwer. Wie mit der Wendung
hin zu flankierender Wirtschaftsförderung für die darbenden Südländer
hat die Bundeskanzlerin der Opposition längst Themen entwunden, mit
denen sie punkten wollte: Mindestlohn, Kampf gegen die Atomenergie
oder Stärkung der Frauenrechte. Trotz einer Regierungschefin, die an
der Spitze einer ihre Zerrissenheit geradezu zelebrierenden Koalition
steht, macht sich der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf einen
schweren Weg, um seine einstige Chefin zu überholen

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