Aller Gegnerschaft zum Trotz sind sich Deutschlands
Parteien in einem Punkt einig: Wenn es um das Geld der Bürger geht,
können sie den Hals nicht voll genug kriegen. Im Juli haben Bund und
Länder schon wieder neue Rekorde bei der Steuereinnahme verbucht. Mit
gut 43 Milliarden Euro liegen sie um 8,6 Prozent über
Vorjahresniveau. Ein positiver Ausreißer? Keineswegs! Auch im
gesamten ersten Halbjahr 2012 sprudelten die Einnahmen dank positiver
wirtschaftlicher Entwicklung stetig kräftiger. Ein schon seit Jahren
wieder verlässlicher Trend. Doch was die Politiker frohlocken lässt
und sie zum leichtfertigeren Umgang mit unser aller Geld verleitet,
hat bei genauerem Hinsehen etwas sehr Verräterisches. Mit einem
Anstieg von acht Prozent gegenüber Juni hat vor allem die Lohnsteuer
die öffentliche Kasse randvoll gefüllt. Der Staat streicht nämlich
einen Großteil der Lohnerhöhungen, die endlich wieder nennenswerte
sind, dank „Kalter Progression“ und „Mittelstandsbauch“ für sich ein.
Erstere kann sogar zum Realeinkommensverlust führen, wenn die
Lohnerhöhung lediglich so hoch ist wie die Inflationsrate, der
Arbeitnehmer wegen des höheren Einkommens aber in die nächst höhere
Steuerklasse rutscht. Auch beim „Mittelstandsbauch“, der vor allem
Durchschnittsverdiener trifft, schlägt die nächste Steuerklasse allzu
oft zu, wenn sich das Einkommen vergrößert. In beiden Fällen
profitiert der Staat überproportional von Lohnabschlüssen der
Tarifpartner. Ein seit Jahren beklagtes Übel, das endlich zumindest
zu mildern CDU, CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag 2009
versprochen haben. Bislang können sich die Parteien allerdings wieder
einmal auf kein Konzept mit der SPD (sie muss im Bundesrat zustimmen)
verständigen. So kassieren alle munter (und insgeheim einvernehmlich)
weiter bei ihren Wähler ab. Und wundern sich, wenn die Bürger
zunehmend skeptisch gegenüber immer neuen Milliarden-Bürgschaften für
klamme Euro-Partner sind. Für die haften bekanntlich die Bürger mit
ihren Steuern, nicht die Politiker. Ginge es bei uns endlich etwas
gerechter zu mit den Steuertarifen, also vordringlich deren
Abflachung im unteren und mittleren Einkommensbereich, würde das
Verständnis für die Solidarität mit den schwächelnden Südländern
wachsen. Der Staat könne sich angesichts der vielen Aufgaben gar
nicht leisten, auf Einnahmen zu verzichten, schallt es aus allen
Partei-Lagern. Das ist die bequemste aller Ausreden. Nötig wäre
vielmehr, endlich sparsamer mit dem Geld der Bürger umzugehen.
Angesichts der neuen Höchststände bei den Steuereinnahmen hat denn
auch die unverdächtige Bundesbank Bund und Ländern aufgefordert,
einen schärferen Sparkurs einzuschlagen. Dass das Potenzial dafür
viel größer ist, als die Politiker weismachen, dafür liefern sie
selbst die besten Beweise: Klaus Wowereit und Matthias Platzeck mit
BER, Kurt Beck mit dem Nürburgring oder erst Ole von Beust und dann
Olaf Scholz mit der Elbphilharmonie. Von bankrotten Landesbanken ganz
zu schweigen.
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