BERLINER MORGENPOST: Mehr als nur ein Duell um die Macht in der SPD – Leitartikel von Gilbert Schomaker

Nun wird also mit offenem Visier gekämpft: Im Duell
um die Macht in der Berliner SPD stehen sich der langjährige
Vorsitzende Michael Müller und sein Herausforderer aus
Friedrichshain-Kreuzberg, Jan Stöß, gegenüber. Dass sich am Montag
der Sprecher des linken Flügels der SPD öffentlich erklärt hat, ist
gut. Denn nun hat die Hängepartie der vergangenen Wochen ein Ende.
Jetzt ist klar: Für Müller geht es ums Ganze. Der enge Vertraute des
Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit gilt seit Jahren als
möglicher Nachfolger im höchsten Regierungsamt des Landes Berlin.
Doch bei einer Wahlniederlage auf dem Landesparteitag im Juni wäre
ein solcher Karrieresprung wohl nicht mehr denkbar. Daher ist es
verständlich, dass Müller kämpft und einige große Kreisverbände auf
seine Seite gezogen hat. Aber der Herausforderer hat auch schon viele
wichtige Kreisvorsitzende und Parteiströmungen hinter sich scharen
können. Vor allem diejenigen Sozialdemokraten, die sich unter Müller
zu kurz gekommen fühlen, setzen auf Stöß. Dabei sind auch einige, die
bei der vergangenen Senatsbildung und der Postenverteilung leer
ausgegangen sind. Was jahrelang in der SPD unter dem Deckel gehalten
wurde, kommt jetzt hervor: die große Unzufriedenheit weiter Teile der
Partei. Stöß– Kandidatur ist jedoch ein riskantes Spiel. Denn wenn
Müller fällt, beschädigt das auch den Regierenden Bürgermeister.
Wowereit wäre in den vergangenen Jahren ohne Müller nicht denkbar
gewesen. Müller organisierte ihm die Partei, eine Partei, die oftmals
anderer Meinung war als der Regierungschef. Ein neuer Parteichef mit
neuen Ideen und einem eigenen Machtanspruch würde Wowereits
Regierungskraft mindern – keine Frage. Er würde auch Unruhe von außen
in den bisher sehr harmonischen Senatsbetrieb bringen. Gleichzeitig
weiß jeder in der Partei, dass es außer Wowereit bisher niemanden
gibt, dem man ähnlich erfolgreiche Wahlkämpfe in der Stadt zutrauen
würde. Aber genau deswegen ist die Personalentscheidung Müller/Stöß
auch eine Richtungsentscheidung. Soll sich die SPD mit ihrer Politik
an die Stammwähler, den Arbeiter aus dem Wedding oder aus Neukölln,
wenden? In diesen Bezirken war die Partei bei der vergangenen Wahl
besonders gut. Oder will die SPD in der Wählerschaft der Grünen und
Piraten wildern und junge, urbane Berliner erreichen? Aber sind hier
die Grünen und Piraten nicht ohnehin authentischer? Die jungen,
hungrigen Politiker planen schon die Nach-Wowereit-Zeit. Selbst wenn
es keinen strahlenden Spitzenkandidaten bei der nächsten
Abgeordnetenhauswahl gibt – also keinen echten Wowereit-Ersatz –
lässt sich doch mit einer linken Mehrheit von Grünen und Linkspartei
die Stadt regieren – so das Kalkül einiger Sozialdemokraten. Dann
wäre man den eigentlich ungeliebten Koalitionspartner CDU los. Mit
einem solchen, kalkulierten Linksschwenk würde die SPD aber im
bürgerlichen Lager an Zustimmung verlieren. Statt sich zu zerreißen,
wäre es gut, wenn sich die SPD auf die wichtigste Aufgabe der Stadt
konzentrieren würde: Arbeitsplätze zu schaffen.

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