Die Cowboy-Phase ist eigentlich vorbei in der
deutschen Politik. Entweder regieren starke Frauen wie Merkel, Kraft,
Kramp-Karrenbauer, Lieberknecht oder eher unauffällige Männer wie
Scholz, Sellering, Kretschmann und McAllister. Aus der Mode kam der
Typus des klassischen Alphamännchens, dem man zutraut, morgens nach
Rocky-Manier ein paar rohe Eier zu verdrücken, das sich lieber zofft,
als eine Entspannungsmeditation zu machen, und die Traute hat,
„Gedöns“ zu sagen. Doch nun ist die Langeweile vorbei. Knarzend
öffnet sich die Saloon-Tür, Musik von Ennio Morricone liegt in der
Luft, das Publikum hält die Luft an. Ja, es ist noch ein wenig
gewöhnungsbedürftig, wenn Jürgen Trittin und Peer Steinbrück Seite an
Seite die Bühne betreten; zwei Kämpfer, denen man nicht sofort enge
Freundschaft zutraut. Immerhin: Die beiden bieten ein kraftvolles,
durchaus aggressives, jedenfalls nicht langweiliges Motiv, das die
Pofalla-haltige Berliner Welt bereichert – zwei Himmelhunde auf dem
Weg zum Kanzleramt. Jeder für sich ist ein wenig merkwürdig, aber im
Doppelpack bilden die beiden ein strategisches spannendes Duo, das
die auseinanderdriftenden Wählerwelten links von Merkel bedient –
wenn die beiden zusammenhalten. Trittin ist einer der wenigen
Kollegen, die Peer Steinbrück halbwegs ernst nehmen dürfte. Der lange
Grüne, den immer noch die K-Vergangenheit umweht, gehört zu den
erfahrensten Politikern des Landes. Er hat schon mit Schröder in
Niedersachsen regiert, er litt an Fischer, war aber der Garant dafür,
dass die Grünen sich als berechenbare Regierungspartei präsentieren.
Trittin beherrscht die Kunst, Realpolitik zu machen, zugleich aber
die Basis mit Revolutionsrhetorik bei Laune zu halten. Er hat sein
Umweltministerium ordentlich geführt, ist fleißig, vor allem aber
zuverlässig. Er läuft fast jeden Tag, aber ohne Kamera. Trittin ist
berechenbarer als Steinbrück und für den SPD-Kandidaten ein Geschenk.
Denn so einen Desperado gibt es in der SPD nicht: links, loyal,
regierungserfahren, bei Jungen und Frauen vermittelbar – das schafft
Ralf Stegner in 100 Jahren nicht. Und so ersteht ein Duo wieder auf,
das von 1998 in Erinnerung ist. Damals bediente der Realo Schröder
die Mitte, ein gewisser Oskar Lafontaine die Klassik-Wähler. Für 2013
tritt eben ein rot-grünes Duo an, aber mit dem gleichen strategischen
Ziel – sie bedienen eine weitere Wählerkundschaft und nehmen dem
jeweils anderen den Schrecken. Mit Trittin bekommt Steinbrück endlich
die Beinfreiheit, die er sich selbst durch Überanpassung an die
Folkloregruppen der SPD bereits zu nehmen drohte. Die strategischen
Vorteile sind offenkundig. Erstens stehen die beiden für Ausgleich.
Wem der eine zu extrem ist, dem gibt der andere das Gefühl: wird
schon nicht so schlimm. Zweitens: Gemeinsam sprechen die beiden
Wählergruppen von Schröders Neuer Mitte bis weit ins Lager der
Linkspartei an. Drittens bilden die beiden knorzigen Kerle einen
stabilen kulturellen Gegenentwurf zur Kanzlerin. So kann es
geschehen, dass Merkel zwar die Wahlen gewinnt, aber Steinbrück und
Trittin die Mehrheit haben. Schwarz-Grün darf man getrost als Option
für äußerste Notfälle betrachten. Zumal es nur einen gibt, der, wenn
überhaupt, der Öko-Partei diesen radikalen Kulturbruch vermitteln
könnte: Jürgen Trittin.
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