Kaum ist der Ruf nach mehr direkter Demokratie zu
einem breiten Chor angeschwollen, hat diese Art der Politik ihre
erste Feuerprobe erlebt: In der vergangenen Woche sind in den beiden
größten Städten des Landes konkrete politische Vorhaben mit
anderslautenden Wählerwünschen zusammengestoßen.
Das Ergebnis war in beiden Fällen unbefriedigend: In Graz wurden
vernünftige umweltpolitische und stadtplanerische Maßnahmen
abgelehnt, ohne dass die Bürger eine Alternative empfahlen; in Wien
entschied sich die rot-grüne Stadtregierung aus Angst vor einem
Wähler-Nein zum Parkpickerl dazu, die normale Reihenfolge politischer
Entscheidungsfindung einfach umzudrehen. Das war vielleicht technisch
geschickt, aber selbst in den eigenen Reihen unpopulär.
Eines ist nach dieser Woche klar: Bei Verkehrs- und Umweltthemen sind
Volksbefragungen und Referenden kein Mittel zu einer intelligenten
Politik, die dem Gemeinwohl dient. Genauso wie man Bürger nicht über
einzelne Steuern abstimmen lassen kann, weil sie reflexhaft Nein
sagen, sind Einschränkungen beim Autoverkehr nicht
stimmzettelgeeignet. Zwar gibt es in diesem Land einen Konsens für
eine saubere Umwelt, aber nicht für jene Schritte, die dorthin
führen.
Das Hauptproblem direkter Demokratie ist, dass Wählern meist
Einzelfacetten eines komplexen Themenbereichs vorgelegt werden.
Idealerweise würden sie zuerst allgemeine Zielsetzungen festlegen und
dann Maßnahmen aus einem Katalog auswählen, die diese Ziele erfüllen.
Genau das ist die Arbeit von Parlamentariern, die in der direkten
Demokratie allerdings verlorengeht.
Dazu kommt die Frage, wer eigentlich abstimmen soll – etwa beim
Wiener Parkpickerl: die Bewohner der betroffenen Bezirke, alle Wiener
oder auch die Niederösterreicher und Burgenländer, die von
Kurzparkzonen stark betroffen sind? Der politisch notwendige
Ausgleich zwischen verschiedenen Gruppen wird durch die Befragung
einzelner nicht erreicht.
Dass die Schweizer dies trotz allem schaffen, liegt an einer
Besonderheit ihres Systems: Sie können sich laufend zu Wort melden.
Wie ihr ehemaliger Bundespräsident Moritz Leuenberger vor kurzem bei
einem Vortrag in Wien erläutert hat, ist das riesige Bahnprojekt
Alpentransversale etwa im Vergleich zu Stuttgart 21 nur deshalb so
glatt gelaufen, weil die Betroffenen über Jahre hinweg eingebunden
waren und immer wieder befragt wurden.
Ob das eine Option für das ganz anders gestrickte Österreich wäre,
ist fraglich. Und die Schweizer Beteiligungskultur lässt sich kaum
mit einer EU in Einklang bringen, in der Regierungen Kompromisse
schließen müssen, die dann nicht sofort von Bürgern zu Fall gebracht
werden sollten.
Vermieden werden müssen jedenfalls Regelungen, die bei einer
bestimmten Zahl von Unterschriften zur Volksabstimmung verpflichten.
Denn wenn das Thema nicht passt, dann sind auch 650.000 bundesweite
Signaturen (oder 150.000 in Wien) kein Grund, den Parlamentarismus zu
übergehen.
Wenn es die Parteien mit der direkten Demokratie ernst meinen, dann
sollten sie nach den Erfahrungen von Wien und Graz rasch zum
Planungstisch zurückkehren. Vor allem die Grünen müssen ihre Haltung
überdenken: Jede Bürgerinitiative gegen Großprojekte zu unterstützen,
aber bei eigenen Vorhaben der Konfrontation mit der öffentlichen
Meinung aus dem Weg zu gehen kostet viel Glaubwürdigkeit.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom