Die Renten-Krise als Schuldprojekt: Wer die Zeche wirklich zahlt

„Ein Pflichtjahr für Baby-Boomer wäre eine Chance für alle“ – so schreibt Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), in seiner Kolumne in der Zeitschrift „Die Zeit“ und löst damit eine Welle der Empörung aus. Doch damit noch nicht genug: „es sei keine Strafe, sondern eine Chance, den Generationsvertrag gemeinsam zu erneuern.“

Es ist eine Debatte, die kaum noch rationale Wurzeln hat und ein Krieg gegen die falschen Adressaten wäre: Jetzt sollen die Baby-Boomer nach Jahrzehnten voller Leistung und harter Arbeit, Sorge und Einsatz in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens plötzlich erneut zur Kasse gebeten werden – durch ein Pflichtjahr, das sie in den Dienst der Gesellschaft zwingt. Bundeswehr? Sozialdienste? Rentner an die Front? Eine Generation, deren Eltern den Krieg größtenteils selber miterlebt haben, soll jetzt in einen Konflikt hineingezwungen werden als Teil einer Politik, die Probleme nicht löst, sondern verschiebt. Das ist nicht fair. Das ist unverhältnismäßig. Das ist riskant und spaltet unsere Gesellschaft weiter. Wer Generationen-Dialog will, braucht ehrliche Worte: Die Lasten gehören gerecht verteilt – aber nicht auf die Schultern jener, die jetzt in Richtung Rente gehen.

Und nicht genug damit. Die Demografie-Diskussion kommt sogar noch als bloße Lizenz einer Schuldzuweisung daher: sie, die Baby-Boomer, hinterlassen ihren Nachkommen eine schlechte Welt und ihre Kinder und Enkelkinder müssten deren Versäumnisse ausbaden.

Viele empören sich zu Recht über diese Zwangslogik. Die Baby-Boomer haben das Sozialsystem über Jahrzehnte getragen: durch ihre Arbeit, durch die Betreuung von Angehörigen, als pflegende Angehörige, Großeltern, die sich um Enkel kümmern. Sie sind 60 plus. Sie sind eine tragende Säule des Miteinanders. Und doch wird ihnen heute erneut eine Schuld aufgeladen, als hätten sie die Krisen verursacht. Demografie wird instrumentalisiert, um politische Fehler zu kaschieren: weniger Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Klimaschutz, Pflege – und dann die naive Frage: Wer zahlt? Die Antwort heißt: Nicht die Politik, die versagt hat, sondern jene, die ja schon längst eine Reserve an Verantwortung aufgebaut haben. Sie tragen keine Schuld daran, dass Regierungen in den letzten Jahrzehnten versäumt haben, faire und nachhaltige Finanzierungs- und Sozialstrukturen zu schaffen. Und doch wird ihnen heute eine neue Last aufgeladen – als wenn Schulden der Politik plötzlich zu ihrem persönlichen Rentenrisiko gehört.

Die Spaltung der Gesellschaft geht damit weiter. Dabei sollte ein gesellschaftliches Miteinander unser gemeinsames Ziel sein.

Eine, die hier genau hinschaut, ist Rednerin Angelika Niedermaier. Seit Jahrzehnten ist sie beruflich in dem herausfordernden Bereich der Pflege zuhause, als pflegende Angehörige, als Heimleiterin und Regionalleiterin in der Altenpflege und seit über 10 Jahren als selbständige Pflegeberaterin. Sie kennt die Herausforderungen und Krisen der Generationen. In ihrem Vortrag Brücken für ein generationsübergreifendes Miteinander zeigt sie auf, welche Themen die Generationen beschäftigen und welche Wege es gibt, um diese Krisen gemeinsam zu meistern.

Die Forderung eines Pflichtjahres für Baby-Boomer ist damit sicherlich kein solidarischer Plan, sondern eine Politik der Spaltung. Rentner an die Front? Ein Krieg, den niemand will, eine Militarisierung der Gesellschaft, die sich gegen jene richtet, die schon jetzt die Hauptlast tragen.

Nutznießer der aktuellen Debatte sind zudem oft jene Gruppen, die weder ausreichend eingezahlt haben noch belastete Strukturen dauerhaft stabilisiert haben. Doch die Finanzierung muss breiter, gerechter und stabiler werden – nicht mit Zwang, nicht mit Schuldzuweisung an Menschen 60 plus, sondern mit fairer Verteilung der Lasten, nachhaltiger Gegenfinanzierung, Investitionen in Pflege, Betreuung und Bildung, bessere Erwerbs- und Teilhabe-Chancen für alle Altersgruppen, inklusive junger Menschen und klaren Regeln für gerechte Rentenfinanzierung. Wer Verantwortung will, muss sie fair verteilen – generationsübergreifend und freiwillig. Die Debatte darf nicht zu einer neuen Schuldzuweisung an eine Generation werden, die ohnehin schon mit schwerem Gepäck in den Ruhestand geht.

Viele Baby-Boomer erwarten realistische Rentenpläne und diese spiegeln sich im Rentenversicherungsbericht des Bundesministeriums wieder: Die Renten vieler werden nicht ausreichen, um seriös zu leben. Das ist die eigentliche Krise: ein System, das seit Jahren zu wenig Ressourcen sichert, zu wenig investiert hat und zu wenig Zukunftsplanung bietet.

Daher: Nein zu Schuldzuweisungen an die Baby-Boomer. Nein zu Zwang und Frontenbildung. Ja zu einer Politik, die Krisen adressiert, die Demografie realistisch betrachtet, und die Renten sichert, ohne Rentnerinnen und Rentner zu entwerten. Wir brauchen ehrliche Worte, echte Lösungen für Krisen, konkrete Pläne und ein echtes Miteinander – generationenübergreifend, fair finanziert und verantwortungsvoll umgesetzt. Schluss mit der Schuld, Schluss mit Spaltung, Schluss mit Zwang. Die Lösung heißt: echte Krisenbewältigung durch Generationen-Dialog, nicht durch Schuldzuweisungen an die Menschen 60 plus.

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